Trade Republic: Wertpapierhandel via Smartphone

Fonds, ETFs und Derivate kostengünstig und unkompliziert handeln – der mobile Broker Trade Republic hat in Deutschland einen Nerv getroffen. Und es gibt schon zahlreiche Konkurrenten.

Das neue mobile Trading

Schnell mal zwischen Büro und Yogastudio eine Aktie ordern. Kurzer Blick aufs Portfolio am See, um abzuwägen, wie man kurzfristig umschichten könnte. Trading geht heute auch mobil. Aktien, Fonds oder Derivate lassen sich via Smartphone kaufen wie T-Shirts oder Sneakers. In Zeiten niedriger Zinsen und einer gesetzlichen Rente, auf die sich niemand mehr verlassen will, sind börsennotierte Anlagen auch für eine junge Zielgruppe interessant. Besonders Exchange Traded Funds (ETF) erfreuen sich steigender Beliebtheit. Doch gerade Finanzlaien begegnen auf dem Weg zum Depot vielen Fragen: Welche Wertpapiere passen zu meinem Risikoprofil? Welche Kosten sind angemessen? Warum ist das Einrichten des Depots so aufwendig? Das Start-up Trade Republic verspricht, diese Probleme zu lösen. Es ist nach eigener Aussage der erste deutsche Börsenmakler, der die Möglichkeit bietet, provisionsfrei auf dem Smartphone mit Aktien und ETFs zu handeln.

Günstig und unkompliziert

„Zentraler Bestandteil unserer Geschäftsidee war von Anfang an, den Wertpapierhandel zu demokratisieren“, erklärt Mitgründer Christian Hecker. Statt der üblichen Gebühren fällt lediglich eine Fremdkostenpauschale von einem Euro pro Handelsgeschäft an. Geld verdient das Start-up dadurch, dass Broker von ihren Partnern eine Provision erhalten, wenn sie Wertpapiere vermitteln. Bei Trade Republic reicht diese zur Finanzierung aus, da das Unternehmen aufgrund moderner IT sehr günstig arbeitet. „Der geringe Anteil an manuellen Schritten durch den hohen Grad an Automatisierung bei Trade Republic schafft wesentliche Kostenvorteile“, erklärt Hecker. Die Hälfte der rund 50 Mitarbeiter arbeite an der IT-Entwicklung.

Die intuitiv bedienbare Nutzeroberfläche der Software soll das Investieren vereinfachen. In weniger als zehn Minuten sollen Kunden ein Depot eröffnen können. „Unsere App bietet ein völlig neues Nutzungserlebnis beim Handeln: Sie ist sehr übersichtlich gestaltet und man findet die wichtigsten Infos auf einen Blick“, erklärt Hecker. Dafür soll die personalisierte Timeline sorgen. Zudem lassen sich die automatische Abführung von Steuern, Suchfilter und Preisalarme aktivieren. Für die Handelszeit von 7.30 bis 23 Uhr dürften Menschen mit langen Arbeitszeiten dankbar sein.

Die Gründer Marco Cancellieri, Christian Hecker und Thomas Pischke (v. l. n. r.) in den Büros von Trade Republic in Berlin.

Start-up mit tiefem Know-how

Im Jahr 2011, auf der Rückreise von einem Uni-Seminar in München, lernt Christian Hecker Thomas Pischke kennen. Vier Jahre später arbeitet Hecker im Investment Banking, Pischke für ein FinTech. Bei einem Gespräch über die eigene Geldanlage entsteht die Idee für Trade Republic, vermutlich nach dem Vorbild des 2013 gegründeten US-Brokers Robinhood. Bei einem Hackathon, einer Art Soft- und Hardware-Entwicklungs-Veranstaltung, trifft Pischke Marco Cancellieri. Während dessen Studium der Medieninformatik hatte er mehrere App-Projekte geleitet, mit denen er Programmierwettbewerbe gewann. Schon am nächsten Tag beginnt Cancellieri, den Prototypen einer Broker-App zu entwickeln.

Im Herbst 2015 steht der Entschluss: Die drei wollen ein Start-up gründen. Etwa ein halbes Jahr, nachdem Robinhood an den Start gegangen ist. Wie so viele erfolgreiche Gründungen aus dem Silicon Valley hat auch Robinhood eine internationale Expansion im Sinn. Es gilt also, keine Zeit zu verlieren. 2017 gewinnen die Gründer die Sino AG, einen Börsenmakler für Vieltrader, als strategischen Investor. „Damit hatten wir einen Partner an der Hand, der von vornherein das Marktpotenzial des mobilen und provisionsfreien Aktienhandels erkannt hatte und gleichzeitig über langjähriges und tiefes Know-how im Bereich Brokerage verfügt“, erklärt Hecker. Heute sind Ingo Hillen, Geschäftsleiter der Sino AG, sowie Justiziar Karsten Müller Teil der Geschäftsführung von Trade Republic. „Ingo und Karsten verstärken das Gründerteam mit ihrer langjährigen Erfahrung bei der Leitung eines Finanzdienstleisters“, erklärt Hecker.

Diese war Voraussetzung, um eine Banklizenz zu erhalten. Kein leichtes Unterfangen für FinTechs mit meist jungen Mitarbeitern, denn das deutsche Kreditwesengesetz verlangt neben ausreichend Anfangskapital (mindestens 5 Mio. Euro) auch die fachliche Eignung der Inhaber oder Geschäftsleiter. Dazu gehört u. a. Leitungserfahrung, also eine mindestens dreijährige leitende Tätigkeit bei einem Institut vergleichbarer Art und Größe. Trade Republic erhielt im Dezember 2018 die Banklizenz.

Die Konkurrenz schläft nicht

Der US-Broker Robinhood ist zu diesem Zeitpunkt schon einige Schritte weiter. Nach fünf Jahren kann er bereits über sechs Millionen Kunden verzeichnen. Und auch in Deutschland gibt es Konkurrenten. Im Oktober 2019 ging Justtrade an den Start, das sogar ohne Fremdkostenpauschale arbeiten will. Einen Monat später der Gratisbroker. Der Unterschied zu Trade Republic: Beide haben bisher keine ETFs im Angebot und Voraussetzung für Transaktionen ist eine Mindestorder in Höhe von 500 Euro. Verkäufe können auch darunter liegen, sofern der Vermögenswert komplett aufgelöst wird.

Das Angebot wird ausgebaut

Bereits im Januar 2019 nahm Trade Republic Interessenten auf einer Warteliste auf. „Damit haben wir einen reibungslosen Start gewährleistet“, erklärt Hecker. Vier Wochen später konnten sie mehrere Tausend Konten freischalten. Im Mai wurde die Warteliste abgeschafft, seitdem kann jeder sofort ein Depot eröffnen. Anfangs können Anleger mehr als 6.100 Aktien und über 250 ETFs kaufen. Als elektronischer Handelsplatz dient die Börse Hamburg. Die Spreads, also die Differenz zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis, sind an den Referenzmarkt XETRA gebunden. „Wir haben unser Angebot seit dem Marktstart im Januar 2019 bereits kontinuierlich ausgebaut“, sagt Hecker. Seit dem Sommer 2019 sind Derivate handelbar, insbesondere Optionsscheine und Knock-out-Produkte. Damit können Anleger kurz gesagt auf Preisveränderungen spekulieren, ohne das Wertpapier selbst zu kaufen.

Die Anzahl der Aktien liegt inzwischen bei 7.300, der ETFs bei 500, der ETF-Sparpläne bei über 300 und der Derivate bei 40.000. „Durch das digitale Geschäftsmodell profitieren wir davon, unser Angebot schnell und einfach um neue Features und Anlageklassen ergänzen zu können. Der enge Austausch mit unserer Community ermöglicht es uns, unser Angebot nah an den Kundenwünschen weiterzuentwickeln“, erklärt Hecker. Möglich war der Ausbau des Produkts aber natürlich auch aufgrund der zehn Millionen Euro Kapital, die das Start-up einsammeln konnte. Beteiligt waren etwa der Risikokapitalinvestor Creandum sowie der Berliner Kapitalgeber Project A.

„Unser Mittelfristziel ist es, das Synonym für mobilen Wertpapierhandel in Europa zu werden. Darüber hinaus möchten wir uns als erste Adresse für kapitalmarktorientiertes Sparen und Handeln etablieren“, sagt Hecker. Dafür werde das Angebot nun weiterhin Schritt für Schritt ausgebaut.

Frisches Kapital für große Ziele

Trade Republic hat inzwischen über 100.000. Kunden, das verwaltete Kundenvermögen beträgt über 200 Millionen Euro. Der Branchenblog „Payment and Banking“ hat Trade Republic als Newcomer-FinTech des Jahres 2019 ausgezeichnet. Ein Jahr nach dem Markteintritt in Deutschland startete die Warteliste in Österreich. „Wir planen noch in diesem Jahr unseren Marktstart in mindestens einem weiteren europäischen Land.“, kündigt Hecker an. Konkurrent Robinhood bewegt sich derweil stärker in Richtung Europa, der Broker expandierte schon nach Großbritannien. Auch in Deutschland werde der Markt geprüft, wie das Online-Magazin „Finance Forward“ berichtet. Mit einer Facebook-Anzeige wurde das Anlageverhalten der deutschen Nutzer erkundet.

Ringen um Europa

Es dürfte ein zähes Ringen um die Vormachtstellung in Europa werden. Trade Republic konnte im April 2020 einen weiteren großen Erfolg und eine Art Ritterschlag der Finanzbranche vermelden konnte: Von renommierten VC-Investoren wie Accel oder Peter Thiels Founders Fund erhielt das Berliner FinTech 40 Mio. Euro. Frisches Funding-Kapital, das Trade Republic helfen wird, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen: zu einer europäischen Plattform für mobiles Sparen, Investieren und Handeln zu werden.

Text: Tanja Koch
Fotos: istock // Datum: 11.12.2020

Die Perlen von Corvara

Die Beschleunigung der Sehnsucht nach Authentizität und Regionalität fordert ganz neue Hotelkonzepte. Ein Besuch in Südtirol bei den Brüdern Costa, die im La Perla und dem Berghotel Ladinia auf wahre Werte statt austauschbare Trends setzen.

Herzblut statt Coolness: La Perla und Ladinia

Zimmer mit Ausblick, Küche und Keller vom Feinsten, SPA und Hallenbad, die Bergbahnen vor der Nase – solche Hotels gibt es in Südtirol viele. Doch mit seinem ungewöhnlichen, ganzheitlichen Nachhaltigkeitskonzept fallen das La Perla und die kleine Schwester, das Berghotel Ladinia, in Corvara gänzlich aus dem Rahmen. Statt auf Coolness, fernöstlichen Purismus und andere austauschbare Trends, setzt die Hoteliersfamilie Costa auf wahre Werte und trifft damit den Nerv einer neuen Zeit.

Das 2655 Meter hohe Sassongher Bergmassiv inmitten der grandiosen Bergwelt ist das Wahrzeichen von Corvara im Gadertal und entschädigt etwas dafür, dass der Ort viel von seiner Ursprünglichkeit zugunsten des internationalen Tourismus eingebüßt hat. Mit den Seilbahnen Col Alto und Boe erschließt sich nicht nur ein Wanderparadies, Radfahrer finden auf dem Rückgrat von Dolomitenpässen atemberaubende 360-Grad-Panoramen und Wintersportler Anschluss an den weltberühmten Skizirkus Sella Ronda.

Das Hotelkonzept der Costa-Brüder

Im La Perla steht nicht mehr und nicht weniger als das Wohl der Gäste an erster Stelle. Das ist total ernst gemeint und fast so etwas wie eine Philosophie. Behutsam haben die beiden Inhaber-Brüder Mathias, als perfekter Gastgeber, und Michil, der virtuos-kreative Kopf, das ehemalige Skihotel mit dem Charme der späten 90er Jahre zu einer luxuriösen Komfortzone weiterentwickelt. Damit kreierten sie einen unverwechselbaren Stil, der seinesgleichen sucht.

Einen Vorgeschmack davon vermittelt schon die sehr persönliche und witzige Homepage der beiden Häuser. Neue Gäste spüren das schon zum Auftakt, zum Beispiel beim Aperó, der immer donnerstags vis-á-vis in der Ciasa Vedla stattfindet, dem Geburtshaus von Ernesto Costa, das im 15. Jahrhundert erbaut wurde.

Gerstensuppe statt Kaviar in Corvara

Eine „Zeitreise“ titulieren seine Söhne diesen Empfang und man muss sich bücken, wenn man über knarzende Holzdielen von Stube zu Stube wandert – nichts wurde verändert. Hier urige Haushaltsgeräte, dort altes Gewand oder ladinisches Kinderspielzeug. Zu diesem Heimatkunde-Ausflug in die vortouristische karge und entbehrungsreiche Zeit im Hochabteital reichen Mathias und Ehefrau Petra anstelle von Schampus und Kaviar, Südtiroler Wein, kleine Käseknödel, die sogenannten „Bales“ und Gerst’l-Suppe.

Gern erzählt wird dann die Story vom Vater, der frühmorgens noch im Winterdunkel das Waschwasser in der Emailleschüssel gefroren vorfand. Wie anheimelnd geht es dagegen jetzt im Restaurant vom Berghotel zu, wo liebevolle Details wie zu Serviettenringen umfunktionierte Backförmchen oder Sektkorken als Messerbänkchen auf ein Dinner zu zweit oder mit Freunden einstimmen.

Einen Baum für das Gemeinwohl stiften

Im „La Stüa de Michil“ steht Chefkoch Nicola Laera an den Töpfen und Pfannen und kredenzt für maximal 34 Hotelgäste apulisch-ladinische 1-Sterneküche. Gänsestopfleber oder andere, ethisch nicht ins Konzept passende Delikatessen sucht man vergeblich auf der Speisekarte. Und wer dem Fleischkonsum gänzlich entsagen möchte (aber natürlich nicht muss!) und ein veganes Menü bestellt, tut etwas Gutes für die hiesige Natur und darf einen Baum adoptieren. Nach dem verheerenden Sturm Vaia, dem 2018 über 100.000 Nadelbäume zum Opfer fielen, soll damit auf das Wiederaufforstungsprojekt von WOWnature aufmerksam gemacht werden. Es gibt sogar ein Zertifikat und der Gast kann sich bei seinem nächsten Besuch im La Perla selbst ein Bild davon machen, wie sein gepflanzter Baum gedeiht.

Doch das geht den Costa-Brüdern nicht weit genug. Deshalb haben sie die Costa Family Foundation ins Leben gerufen, um das Leid in Togo, Uganda, Äthiopien sowie Indien und Nepal durch 14 sehr konkrete Hilfsprojekte zu lindern. Bei ihrem eigenen Hotelbetrieb setzen die Brüder auf die Gemeinwohlökonomie des österreichischen Vordenkers Christian Felber. Dabei geht es natürlich um Nachhaltigkeit und den behutsamen Umgang mit Ressourcen. Aber auch verstärkt um Vertrauen, Wertschätzung, Solidarität, Kooperation und das Teilen.

Gastfreundschaft, die von Herzen kommt

Der Hotelgast wird als Individuum gesehen und nicht als Kreditkartenträger wie anderenorts. Der ganzheitliche Ansatz bezieht dabei die Zulieferketten der Hotellieferanten genauso mit ein wie die Mitarbeiter. Wichtige Entscheidungen werden immer im Team getroffen. Dieses Maß an Mitverantwortung und Wir-Gefühl führt zu einer viel authentischeren Gastfreundschaft, einer, die von Herzen kommt. Das spürt man trotz Maske, denn die Mitarbeiter lächeln mit den Augen.

Den in Gang gekommenen Wertewandel im Gastgewerbe lebt man hier schon sehr lange. Da war Corona noch ein Fremdwort. In den Zimmern und Suiten heißt eine handgeschriebene Karte den Gast willkommen. Der muss auch nicht immer „on“ sein, wenn er durch den romantischen Kräutergarten bei der alten Mühle streift. Und beim Yoga vor der Kulisse der Dolomiten ist das notorisch-zwanghafte Verlangen, sich ständig selbst optimieren zu müssen, schnell vergessen.

Michil Costa mit Schulkindern des Hilfsprojekts in Nepal
Michil Costa mit Schulkindern des Hilfsprojekts in Nepal
Text: Gerd Giesler
Fotos: Gustav Villeit, Costa family foundation // Datum: 08.10.2020

Der postpandemische Konsument – was jetzt wirklich zählt

Was uns Corona abverlangt, wird nicht nur die digitale Transformation des Mittelstandes um ein Vielfaches beschleunigen, es wird unser Konsumverhalten auf Jahre hinaus grundlegend verändern. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die schon vor der Pandemie über einen entsprechenden digitalen Reifegrad und eine eingeübte Prozess-Kommunikations- und Analyse-Klaviatur verfügten, werden darauf schneller, direkter und wettbewerbsfähiger reagieren können als andere.

Es ist wichtig, die Kommunikation aufrecht zu erhalten

Wir sind alle nur Menschen und wir begreifen gerade, dass wir, wie (schon) Papst Franziskus in seinem einsamen Urbi et Orbi Segen auf dem menschenleeren Petersplatz verkündete, allesamt tatsächlich zum allerersten Mal in einem Boot sitzen, und doch mutterseelenallein sind. Die Krise zeigt, wie wichtig es ist, die Kommunikation aufrecht zu erhalten. „Keep the fire burning“ – ja es ist wie ein Lagerfeuer, an dem Freunde zusammen kommen, um sich zu wärmen und mit Gänsehaut Geschichten zu lauschen, die man jetzt einfach hören will.

Aufrichtige Wertschätzung und Verständnis

Empathie ist das Sehnsuchtsgefühl und nicht nur in schwierigen Zeiten eine der wichtigsten Fähigkeiten und kommunikativen Gaben, wenn es darum geht, Gefühle anderer behutsam nachzuvollziehen und sich so in sie hineinzuversetzen. Auch in der Customer Experience, dem spannenden Weg von der Äußerung eines Bedürfnisses bis hin zu seiner Befriedigung, wird man der Dünnhäutigkeit des Kunden nur durch aufrichtige Wertschätzung und Verständnis für seine neue Wahrnehmung der Dinge begegnen dürfen, wenn man ihn weiter behalten möchte.

Wenn Luxuskonzerne wie LVMH und Hermès Millionenbeträge aufbringen, um Masken und Desinfektionsmittel für Hotspots zu organisieren, wenn Marriott aus seinen Hotelküchen Krankenhäuser und Pflegekräfte versorgen lässt, dann ist das nicht Marketingkalkül, sondern Hilfe aus Betroffenheit. Weltmarken und Verbände zeigen in diesen Zeiten Understatement und teilen dieses „wir“-Gefühl mit ihren Kunden und Gästen.

Neue Distributionskanäle

Bei der täglichen TV-Berieselung ist mir die Besitzerin eines Spielzeuggeschäfts in Erinnerung geblieben, die in ihrer Verzweiflung über die Ladenschließungen ihre Schaufenster mit Fotos der Spielsachen und Bezugsinfos zukleisterte und so zumindest einen neuen, analogen Distributionskanal für Nachbarn und Passanten auftat.

Nichts anderes tun Händler, wenn sie Social Media nutzen, um Waren per Bild oder Video zu posten, oder DIY-Beiträge in Youtube einzustellen, oder zu Live-Chats und Webinaren einzuladen.

Digitale Messebesuche und Live-Chats

Der Kahlschlag der Messen, Veranstaltungen, Events und Feste erschüttert alle Branchen. Es ist, als dürfe man nicht mehr zeigen, was man hat und was man kann. Das trifft Deutschland als Export-Weltmeister besonders hart. Alle Veranstaltungen, die zunächst auf Mitte des Jahres verschoben wurden, sind komplett abgesagt oder vage auf die Jahre 2021 oder gar 2022 vertagt. Zwar kann man das Oktoberfest virtuell nicht klonen, aber es haben sich zumindest digitale Messebesuche international durchgesetzt, teilweise mit Live-Chat-Funktion. Durch den Wegfall der Uhren-Messen Baselworld und Watches & Wonders in Genf und anderer Luxusmessen schien gerade dieser Sektor wie gelähmt zu sein. Doch soeben punktet Cartier mit einer digitalen Manufaktur-Plattform, um seine Neuheiten zu präsentieren, und der Genfer Uhrensalon zog nach mit einer digitalen Bühne namens „Watches & Wonders“, auf der sich, so Messe-Chefin Fabienne Lupo, „die edelsten Uhren-Marken der Welt“ präsentieren dürfen. Hierzu zählen mehrheitlich die Stars des Luxusgüter-Konzerns Richmont mit Lange & Söhne, IWC und notabene Cartier.

Der post-pandemische Konsument

Dem Virus die Stirn bieten – geht das so einfach? Oder machen die großen Marken hier die Rechnung ohne den Wirt? Die Verbraucherstimmung ist mau, der GFK Konsumklima-Index auf Rekordtief. Das ist ein klares „No“ für den puren Absatz und ein Zeichen, dass die Marken jetzt Geschichten brauchen, die die Leute auch hören wollen. Doch nicht nur die Premium-Welt, sondern auch die breite Masse spürt Veränderung. Bisher analog agierende Bevölkerungsschichten freunden sich (not-gedrungen) mit Alltags-Digitalität an. Vor allem ältere Menschen, die bislang eher abwinkten, finden durch Videotelefonie-Anbieter plötzlich den Ausweg aus häuslicher Zwangseinsamkeit, wobei sich Zoom dank kinderleichter Benutzerfreundlichkeit zum Primus dieses neuen Geschäftsfeldes mausert.

Verändertes Konsumverhalten durch die Corona-Pandemie

Nachhaltige Veränderungen durch Social Distancing, Homeoffice und neuer Verhaltensregeln führen auch zu verändertem Konsumverhalten. Von der neuartigen Verdeckung durch Mund-Nase-Schutzmasken könnten Kosmetikhersteller von Augen-Make-Up profitieren. Überhaupt werden ganz neue Produkte und Dienstleistungen in enger Verquickung mit digitalen Tools und hohem Automatisierungsgrad durch Künstliche Intelligenz auf den Markt kommen.
Der post-pandemische Konsument 4.0, dem Home- oder Küchen-Office lieb geworden ist, wird dem Cocooning weiter zusprechen: in seinen eigenen vier Wänden renovieren, die Küche neu gestalten, der videogestützten Home-Fitness weiter frönen, sowie Lieferdienste und Abo-Modelle in Anspruch nehmen. In diesen Geschäftsbereichen dürften auch maßgeblich einige Treiber des Wiederaufschwunges zu finden sein.

Finanzanbieter und Banken müssen sich wandeln

Bei Finanzanbietern und Banken wird erhöhter Kommunikationsbedarf von Nöten sein, um gegen die allgemeine Verunsicherung von Kunden vorzugehen und sich in bestehenden Geschäftsbeziehungen glaubhaft als verlässlicher Partner zu positionieren. Dabei werden Bigtech-Unternehmen, als auch kleine, agile Fintech Start-Ups versuchen, den Etablierten das Wasser abzugraben. Es heißt also dran zu bleiben am Kunden! Abwarten und Tee-Trinken ist das denkbar falscheste Signal. Gerade wenn der Umsatz ausbleibt, kann es sich letztlich auszahlen, sich auf ehrliche und authentische Weise bemerkbar zu machen.

Eine andere Sicht auf das Wesentliche

Zuerst wird die gute alte Globalisierung von China und den USA durch Embargo und Retorsion schwer demoliert, dann kommt ein Virus, das Lieferketten zerschneidet wie Seidenpapier. Bedeutet diese Entwicklung einen endgültigen Garaus für den grenzenlosen Handel? Wir werden sehen, worauf sich die Welt „danach“ besinnt. Eines aber scheint sicher: Wir werden das, was wir an Miteinander durch Distanz gewonnen haben, nicht mehr aufgeben wollen. Die Menschen werden eine andere Sicht auf das Wesentliche haben und auch anders miteinander kommunizieren. Wer das verinnerlicht, könnte gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Autor: Gerd Giesler
Fotos: Deutsche Börse AG, Leichtaus, iStock / Datum: 28.4.2020

Künstliche Intelligenz und die Märkte der Zukunft

Was bringt uns Künstliche Intelligenz? „Die Zeit zurück“, sagt Hans-Christian Boos, Gründer des auf KI und die Automatisierung intelligenten Verhaltens spezialisierten Unternehmen Arago. Seine KI-Plattform AI HIRO unterstützt Firmen im Bereich Prozessoptimierung. Ein Interview über ein menschlicheres Menschsein mit Maschinen.

Chris Boos, KI-Spezialist

Hans-Christian Boos ist 1972 in Konstanz geboren und IT-Unternehmer. Er gründete 1995 das auf künstliche Intelligenz spezialisierte Unternehmen Arago. Seine KI-Plattform AI HIRO unterstützt Firmen bei der Optimierung ihrer Prozesse. Boos arbeitet zudem als Unternehmensberater, Vortragsredner, Business-Angel und ist Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung.

Chris Boos, KI-Spezialist

In der Antike bedeutet „Deus ex Machina“ das Auftreten einer Gottheit, die das Problem löst. Kann künstliche Intelligenz quasi ex machina die drohenden Probleme unserer Zeit lösen, zum Beispiel das Global Warming aufhalten?

Nein, das glaube ich nicht, denn mit KI kann nicht grundlegend Neues gemacht werden. Man wendet Erfahrungen an. Ich denke, beitragen kann sie auf jeden Fall, weil es unsere Produktion im gesamten Wirtschaftskreislauf verbessert und ihn wesentlich effektiver machen wird. Das Per-se-Problem „zu viele Menschen verbrauchen zu viel Energie“ wird sich nur lösen lassen, wenn wir weniger Energie verbrauchen, die man klimaneutral gewinnt.

Brauchen wir im 21. Jahrhundert künstliche Intelligenz, um als Menschen menschlicher sein zu können?

Bedauerlicherweise ja! (lacht) Die Industrialisierung war ein Riesenvorteil für uns. Sie hat uns Wohlstand und ein längeres Leben beschert. Sie hat aber auch dafür gesorgt, dass wir immer mehr wie Maschinen arbeiten. Jetzt geben wir diese Arbeit zurück an die Maschinen, um uns wieder mehr auf das Menschliche zu konzentrieren: dass Menschen wieder verstärkt für Menschen arbeiten. Die Dienstleistung Service wird gewaltig ansteigen. Zum einen, weil Geld dafür frei wird. Zum anderen, da der Touchpoint zum Kunden sonst komplett auf Maschinen verlagert würde und man wesentlich weniger Alleinstellungsmerkmale hätte. Ein weiterer Punkt ist, dass wir endlich einmal unseren Innovationsstau auflösen können. Wir können es uns dann wieder leisten, dass Menschen nachdenken und kreativ sind und wieder Neues machen – auch, um die Probleme der Welt zu lösen.

Um auf menschliche Weise den Fortschritt voranzutreiben?

Ja, also: machen! Wir sind noch schlecht im Machen. Vor allem im Umsetzen von Neuem.

Wer KI ganzheitlich denkt, muss sich auch ethische und rechtliche Fragen stellen und die Auswirkung auf die Arbeitswelt bedenken. Amazon, Alibaba, Wirecard, Google, aber auch Airbnb nutzen längst KI, um im Wettrennen um Big Data ihre Wettbewerbsvorteile auszubauen. Brauchen wir klare Spielregeln und einen ethischen Kodex?

Wofür? Kein Mensch, der sich mit KI beschäftigt, würde sich ernsthaft dagegen verwehren, aber es wird schwer sein, Maschinen Ethik und Moral einzuhauchen. Das muss schon der Mensch übernehmen und danach handeln. Maschinen können das nicht.

Liegt darin nicht das Gefahrenpotenzial von KI? Als autonome Waffe in Krisenregionen zum Beispiel?

Aber auch die werden vom Menschen programmiert. Waffensysteme beschließen ja nicht, irgendjemanden umzubringen. Wir haben seit den 40er-Jahren die Möglichkeit, die Erde komplett zu zerstören, und haben das glücklicherweise noch nicht getan. Stetig werden unsere Waffensysteme besser. Menschen tun sich an, was man sich antun kann. Aber die Diskussion, ob man eine Genfer Konvention haben möchte oder nicht, findet bei den Menschen statt, nicht bei den Panzern. Es ist seltsam, diese Diskussion auf KI zu verlagern.

In Michael Endes „Momo“ stehlen die grauen Herren den Menschen die Zeit. Glauben Sie, dass KI eine Revolution der Weltwirtschaft bewirken wird, im Zuge derer rund 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ihren Job verlieren werden und Unternehmen eine Menge Geld einsparen? Könnte so ein bedingungsloses Grundgehalt für jeden finanziert werden, das der Anthroposoph und dm-Gründer Götz Werner seit Jahren fordert?

Ich glaube, das bedingungslose Grundeinkommen kann höchstens ein Transmissionsmechanismus sein (Anm. d. Red: der Prozess, mittels dessen sich geldpolitische Entscheidungen auf die Wirtschaft auswirken). Menschen brauchen letztlich nicht nur Luft zum Atmen, sie brauchen auch Wind, der sie antreibt. Man sieht ja die Probleme bei Leuten, die nicht arbeiten und keinen Sinn mehr im Leben finden. Es wäre besser, wenn wir etwas Sinnerfüllendes tun würden. KI gibt Menschen die Zeit zurück, etwas Sinnvolles zu tun und nicht mehr nur an Effizienz gemessen zu werden, sondern an dem, was in der Summe herauskommt. Was uns fehlt, ist Zeit zum Nachdenken und die Möglichkeit, etwas auszuprobieren. Wir sind eher effizienzgetrieben, was nicht immer mit Effektivität gleichzusetzen ist. Wenn Maschinen unsere Arbeit automatisieren, heißt das nicht zwangsläufig, dass wir unsere Arbeit los sind, sondern dass wir etwas Neues tun. Arbeitslos wären wir nur, wenn wir heute schon alles täten, was notwendig ist. Das ist ja wohl nicht der Fall.

Woher kommt die Angst vor der künstlichen Intelligenz?

Ich glaube nicht, dass die Menschen Angst vor KI haben. Es ist vielmehr Angst vor der Zukunft. Im Grunde kommt sie daher, da viele Menschen in Wohlstand leben und sich nicht vorstellen können, dass die Zukunft noch besser werden könnte. Das Paradoxe ist, dass sie sich über die Gegenwart beschweren, an der sie auf der anderen Seite so hängen. Es gibt viele Gründe, warum man die Zukunft lieben sollte. Abgesehen davon, dass sie ohnehin unvermeidlich ist.

Lange Zeit haben deutsche Unternehmer gezögert, in Zukunftstechnologien wie Machine Learning und KI zu investieren. Laut der IDG Studie Deep Learning 2019 nutzen nun aber bereits 57 Prozent der Unternehmen diese Möglichkeiten. Wie wirkt sich das auf die Geschäftsentwicklung Ihrer eigenen Firma aus?

Natürlich ist der Hype eine positive Sache für Arago. (lacht) Wobei, was wir momentan ganz allgemein an angewandter KI sehen, gleicht ja eher selten dem strategischen Einsatz, mit dem Amazon oder Alibaba KI bereits nutzen. Es gibt in unserer Wirtschaft ganz viele Piloten, eher zaghafte Anwendungen von einzelnen Algorithmen. Da geht es leider immer noch in erster Linie um Effizienzsteigerung. Dafür müssten wir eigentlich nicht so ein riesiges Fass aufmachen und nationale Strategien entwickeln. Klar gibt es auch in Deutschland Unternehmen, die KI umfassend angehen. Noch ist das aber eher selten anzutreffen.

Der Finanzdienstleitungssektor setzt auf die Einführung smarter Technologien. Wie können Anleger von lernenden Algorithmen profitieren?

Ich glaube, dass zunächst im Backoffice viel automatisiert wird. Die vertrauensvolle Beziehung Mensch zu Mensch bleibt aber wichtig. Der Kunde würde sich nicht wohlfühlen, wenn er nur eine Wahrscheinlichkeitsnummer ist. Darüber hinaus werden ganz neue Produkte entstehen, da sich viel schneller wesentlich kompliziertere Dinge erfassen lassen. Das gilt ganz klar für den Handel mit Emissionsrechten, die gerade zuhauf auf den Markt kommen, die aber alle noch sehr durchschnittlich berechnet werden. Dank KI ist das jetzt auf Einzelbasis möglich. Das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten, und es werden ganz neue Finanzprodukte entstehen. Das Entscheidende aber ist, dass der Finanzsektor eine Refokussierung auf den Kunden erleben wird.

Interview: Gerd Giesler
Fotos: istock; Portrait: Matt Greenslade/photo-nyc.com// Datum: 04.2.2020

Wer übernimmt die Firma? – Firmennachfolge regeln

Einen Nachfolger für das Familienunternehmen finden – ist das eine Mission impossible? Wann und unter welchen Umständen übernehmen Familienmitglieder? Einblicke in große Familienunternehmen und Studien sowie ein Gespräch mit Professor Arist von Schlippe über Kernherausforderungen, Mut, Vertrauen und krönenden Erfolg.

Die Unternehmensnachfolge ist Thema in 30.000 Familienbetrieben

Was haben Marc Fielmann, Ricarda Kusch, Fabian Kienbaum und Raoul Roßmann gemeinsam? Sie alle sind Töchter oder Söhne bekannter deutscher Familienunternehmen: Fielmann Brillen, Kusch + Co. Möbel, Kienbaum Personalberatungen, Rossmann Drogeriemärkte. Und sie stehen als positives Beispiel für den Generationswechsel. Laut einer Studie der Stiftung Familienunternehmen glauben zwei von drei befragten Unternehmerkindern, einmal den eigenen Familienbetrieb fortzuführen. Nicht immer ein leichtes Unterfangen. Nach wie vor laufen viele Nachfolgeregelungen schief, verbunden mit Krisen oder gar Insolvenzen. Formal geht es nur um einen Führungswechsel, doch verbirgt sich hinter der Kronprinzen-Regelung aus psychologischer Sicht oft ein komplexer Prozess, der Familie und Gesellschafter manchmal jahrzehntelang beschäftigt und in Atem hält.

Über die Hälfte regelt die Firmennachfolge innerhalb der Familie

Familienunternehmen gelten hierzulande nach wie vor als Jobmotor und Wachstumstreiber. Mit Wurzeln, die teils in die Frühindustrialisierung zurückreichen, bilden sie quasi das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Kein Wunder also, dass jährlich rund 30.000 KMU mit etwa 500.000 Beschäftigten zur Übergabe anstehen, weil ihre Eigentümer aus persönlichen Gründen aus der Geschäftsleitung ausscheiden. 18 Prozent der Familienunternehmen übergeben die Firma an ihre Mitarbeiter, 29 Prozent verkaufen ihr Unternehmen an Externe. Aber gut die Hälfte aller deutschen Familienunternehmen, so das Institut für Mittelstandsforschung, regelt die Firmennachfolge familienintern. Anders als in den USA, wo allein schon aufgrund der hohen Erbschaftssteuer die Devise „Jeder ist seines Glückes Schmied und fängt als Pionier bei null an“ gilt, ist die Firmennachfolge in Familienunternehmen in Europa und explizit in Deutschland auch Familienangelegenheit.

Arist von Schlippe

Die Firmennachfolge kann familiäre Konflikte auslösen

Der Psychologe, Publizist und Familientherapeut Arist von Schlippe, der seit 2005 den Lehrstuhl Führung und Dynamik von Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke hält, spricht von einer kontinuierlichen Kernherausforderung für Unternehmerfamilien. Er wundert sich, dass so viele Übernahmen ohne explizite Planung vonstattengehen – wider besseres Wissen und trotz der Flut an Beratungsliteratur. Aber Familiendynamik hat nicht nur immense Kraft, sie ist oft kaum zu durchschauen und schwer kontrollierbar. „Lieben und arbeiten“, die Freud’schen Eckpfeiler des menschlichen Glücks, geraten nur allzu leicht aus den Fugen, wenn im familiären Übergabeprozess zu den Themen Anerkennung, Wertschätzung und Lebensleistung ein emotionales Nitroglyzerin-Fläschchen nach dem anderen hochgeht. Von Schlippe spricht hier von einer psychologisch kritischen Masse: „Der eine sagt etwas, der andere fühlt sich total verletzt, schießt zurück und schon ist die Kettenreaktion im Gange.“ Oftmals scheuen selbst Unternehmerpersönlichkeiten mit reichem Erfahrungsschatz im Krisenmanagement und großem Weitblick derartige Operationen am offenen Familienherz. Sie leisten sich lieber strategische Blöße, indem sie die Nachfolgeregelung verdrängen und verschieben.

Die Paradoxien der Firmennachfolge

Dabei hat der Psychologe festgestellt, dass der Prozess sich schon sehr früh abzeichnet. Oft beginnt der Weg der Nachfolgeregelung bereits Jahrzehnte vor der Übergabe. Insbesondere bei der Kronprinzen- oder -prinzessinnen-Regel ist der manchmal reich an Stolpersteinen, Widersprüchlichkeiten und Paradoxien. Laut von Schlippe fällt der Grundstein oftmals bereits in die vorpubertäre Phase, in der Eltern den Nachwuchs eifrig dahingehend beobachten, ob er sich denn potenziell für die Nachfolge eignet. Dabei wünschen sie sich zugleich, dass die Kinder sich möglichst frei entwickeln und entscheiden. Tatsächlich aber wird dem Junior im Reifungsprozess zwischen 12 und 30 Jahren die Identitätsfindung nicht ganz leicht gemacht: „Wie kann ich wissen was ich will, wenn ich doch wollen soll, was ich muss?“

Häufig kommt es zu Konflikten zwischen alt und neu

Im Alter zwischen 20 und 40 Jahren kommt es dann – vor allem bei mehreren Nachkommen – zu der Weichenstellung: Wie ist die Firmennachfolge zu regeln? Wer soll denn überhaupt in die Fußstapfen treten? Wobei das Familieninteresse, „alle gleich bedenken zu wollen“, leicht mit dem Firmeninteresse „der Begabteste übernimmt allein die Führung“ kollidieren kann. Alte, ungelöste Konflikte kommen plötzlich an die Oberfläche, weil in der Familie kein vermeintlicher Konsens mehr aufrechterhalten werden kann. Ist dies entschieden, gibt es in der Phase, in der dann zwei Generationen im Unternehmen sind, erneut mögliches Konfliktpotenzial, diesmal direkt zwischen Senior und Junior unter dem Motto: „Du kannst dich im Unternehmen gerne verwirklichen, aber bitte so, wie ich es möchte.“ Von Schlippe nennt dies den „Ambivalenz-Rap“ in realer Endlosschleife: „Du lässt mich nicht ran – du bist nicht kompetent – du lässt mich nicht ran …“. Nicht selten wird, vor allem in mittleren Betrieben, der Kompromiss gewählt, dass der Senior den Abschied aus dem operativen Geschäft mit einem Aufsichtsposten im Haus verbindet, getreu dem Motto: „Ich gehe, ohne zu gehen.“

Welche Deeskalierungstools führen aus der Nachfolgefalle?

Nach Professor von Schlippe entspricht Uneinigkeit auf der Organisationsebene psychologisch gesehen der Ambivalenz. In Unternehmerfamilien, in denen die Kernentscheidung geklärt ist, zeichnet sich zumeist auch eine einvernehmliche Unternehmensnachfolge ab. Wenn Sohn oder Tochter qualifiziert und wirklich folgebereit sind, und der Altunternehmer für sich Perspektiven nach dem Ausscheiden entwickelt hat, wird auch in vielen Fällen in die Tat umgesetzt, was sich sonst in epische Länge zieht. Doch wenn die Nachfolgegeneration für wenig kompetent gehalten wird und das Ausstiegs-Szenario des Seniors eher Langeweile verheißen mag – was dann? Dann kommt es durch den Ambivalenz-Rap zu einer paradoxen Patt-Situation: Beide Seiten profitieren von den Ängsten des anderen und bewegen sich keinen Schritt aufeinander zu. Denn hinter der Behauptung „Ich würde ja schon, wenn du mich nur lassen würdest“ verbirgt sich gern Versagensangst. Und hinter dem Vorwurf „Ich würde dich ja gerne lassen, aber du bist noch nicht so weit“ steckt häufig ein tückischer Sumpf. Anders gesagt: Das Mindset des Patriarchen sieht Machtverlust, Leere und eigene Endlichkeit nicht vor, so von Schlippe.

Die DNA, um die Firmennachfolge erfolgreich zu regeln

Wir neigen dazu, Vorgänge, die uns sehr beschäftigen, reduzieren zu wollen und personenbezogen aufzurechnen. Doch wir müssen lernen zu verstehen, dass wir es mit hochkomplexen Zusammenhängen zu tun haben. Die Beteiligten können nicht nur Selbstoptimierung betreiben, sie müssen sich auf dem schwierigen Terrain umsichtig bewegen. „Wenn man es als Hauptaufgabe der Unternehmerfamilie ansieht, die Entscheidungsfähigkeit für das Unternehmen sicherzustellen, dann braucht es auf der persönlichen Ebene Entschiedenheit, bevor man in die konkrete Gestaltung der Nachfolge eintritt“, glaubt der Psychologe. Er beruft sich dabei auf folgende vier Bereiche: Bereitschaft, Mut, Kompetenz und Vertrauen. „Kein Generationswechsel gleicht dem anderen, doch sind für eine gelingende Firmennachfolge diese vier reflektierenden Aspekte so etwas wie die Ausgangsbedingung. Von dort aus können die Betroffenen gemeinsam den Schritt in eine neue Ära der Firmengeschichte wagen: die konkrete Firmennachfolge erfolgreich regeln.“

Firmennachfolge regeln

Text: Gerd Giesler
Fotos: getty // Datum: 14.11..2019

Megatrend: das erste Kapselhotel Deutschlands!

Was früher verpönt war ist schon länger smart: Gute Dinge teilen. Dem Car-Sharing folgt jetzt das Hotel-Sharing. Die Space Development Group bringt den Trend des Kapselhotels aus Asien nach Deutschland: Space Kapseln im area24|7 in Karlsruhe.

Raumschiff-Atmosphäre im ersten Kapselhotel Deutschlands

Den Traum eines jeden Kindes, in einem Raumschiff zu übernachten, bringen die Gründer der area24|7 smart hotels & apartments jetzt in greifbare Nähe. Ab sofort können Gäste des neu eröffneten area24|7 apartments in den so genannten Schlafkapseln übernachten. Diese Neuheit in Deutschland, am ersten Standort in Karlsruhe, kreiert eine space-mäßige Atmosphäre durch Schlafkabinen, die so einzigartig in Deutschland sind .

Das asiatische Kapselhotel

Die Idee des Kapselhotels stammt aus Asien und wurde von der Space Development Group mit area24|7 smart hotels & apartments jetzt nach Deutschland gebracht. Der aktuelle Sharing-Trend setzt sich auch hier fort: eine großzügige moderne Küche, ein „Work-Space“, moderne Waschmaschinen und hochwertige Einzelduschen können von allen Gästen gemeinsam genutzt werden – somit entsteht hier eine völlig neue Hotel- & Apartment- Kategorie.

Gerade wurde das area24|7 apartment mit 16 Schlafkapseln in Karlsruhe in der Kaiserstraße direkt in der City eröffnet, demnächst folgt nebenan ein area24|7 smart hotel mit 32 Kapseln. Weitere area24|7 smart hotels & apartments sind in Planung, nächste Standorte werden Heidenheim mit 120 Schlafkapseln und Frankfurt (160) sein.

Kapselhotel Deutschland

„Coming home“-Konzept

Das Konzept der area24|7 smart hotels & apartments legt großen Wert darauf, dass sich die Gäste wohlfühlen. So spiegelt sich das Gefühl von „coming home“ in allen Details wieder. Von Küchenutensilien über den Essbereich bis hin zur Waschmaschine müssen Besucher des area24|7 nichts missen. Ein besonderes Highlight ist der Kaffeevollautomat, der jederzeit und kostenfrei nutzbar ist; eine Attraktion für Kaffeeliebhaber.

Egal, ob Geschäftsreisende oder junge Menschen, die auf Entdeckungsreise sind, das Kapselhotel vereint für seine Besucher alle positiven Aspekte eines Hostels mit denen eines Hotels. Günstige Übernachtungsmöglichkeiten, gemeinschaftliches Feeling und dennoch das eigene Reich als Rückzugsort. Dabei kann „Work-Space“ wortwörtlich verstanden werden, denn es gibt genügend Arbeitsraum für alle Besucher. Gleichzeitig lehnt das urbane Design an das Weltall durch lifestylige Weltraumkapseln an.

Auch die technischen Komponenten der Schlafkapseln können sich sehen lassen. area24|7 hat moderne HD-Androidfernseher, die mit sämtlichen Apps ausgestattet werden können und das Herz von Streamingfans höher schlagen lassen. Das kostenfreie WLAN ist standardmäßig im gesamten Hotel oder Apartment verfügbar und ermöglicht es jedem, überall und jederzeit arbeiten zu können. In jeder Schlafkabine befindet sich zudem ein Safe und eine Klimaanlage. Die innovative Einrichtung ist absolut neu und auf dem aktuellsten Stand.

area 24/7 - Kapselhotel in Karlsruhe

Das area24/7 – Kapselhotel in Karlsruhe

Eine Nacht in einer Schlafkapsel des area24|7 apartments oder Hotels ist ab 45 € pro Person auf www.area247.de buchbar.

Fotos: Area 24/7 // Datum: 25.06.2019

Nachhaltigkeit in Unternehmen – mehr Schein oder Sein?

Von „Nachhaltigkeit“ und „Corporate Social Responsibility“ ist seit Jahren geradezu inflationär die Rede. Doch was ist sie wert? ‑ Ein kritischer Blick auf die Hintergründe der Begrifflichkeiten von Prof. Dr. Fifka, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg.

Nachhaltigkeit ist ein Must

Kaum ein Produkt, auf dem kein grünes Siegel prangt, kaum ein größeres Unternehmen, das nicht zumindest auf der Website seine gesellschaftliche Verantwortung betont. Begrifflichkeiten wie „Nachhaltigkeit“ und „Corporate Social Responsibility“ (CSR) sind populär und werden, so scheint es, inflationär verwandt.

Das ist kein Zufall: Die sozialen und die ökologischen Probleme, mit denen wir als Gesellschaft konfrontiert sind, nehmen zu, wobei auch das Bewusstsein wächst, dass wir Lösungen brauchen. Es schlägt sich freilich nicht nur im Verhalten von Konsumenten nieder, sondern auch in dem der Arbeitnehmer. Immer mehr, insbesondere junge Menschen, wünschen sich, für Unternehmen tätig zu sein, die mehr im Sinn haben, als ihre Profite zu maximieren. Zudem wird unternehmerisches Handeln immer transparenter. Skandale und Verstöße werden in den sozialen Medien in Sekundenschnelle in alle Teile der Welt verbreitet und entfalten sofort ihre Wirkung. Die Reputationsschäden folgen auf dem Fuße. Warren Buffet soll dazu treffend bemerkt haben: „It takes 20 years to build a reputation, and only five minutes to ruin it.” Der Druck auf Unternehmen, korrekt zu agieren, wird also größer. Grund genug, sich näher mit den Konzepten und Begrifflichkeiten zu befassen.

Die lange Geschichte der Nachhaltigkeit

Der Begriff der Nachhaltigkeit ist zweifellos am ältesten. Der deutsche Forstwirt Hans Carl von Carlowitz forderte schon 1713 in seinem Grundlagenwerk „Sylvicultura Oeconomica“, dass Wald nur so viel Holz entnommen werden sollte, wie nachwachsen könne, da man sich sonst seiner Existenzsicherung beraube.

Diese ökologische und wirtschaftliche Überlegung wurde fast dreihundert Jahre später um die soziale Dimension erweitert. Die „World Commission on Environment and Development“ der Vereinten Nationen, die im Namen ihrer Vorsitzenden Gro Harlem Brundtland als „Brundlandt Kommission“ bekannt geworden ist, formulierte 1987: „Nachhaltiges Wachstum ist das Wachstum, das den Bedürfnissen gegenwärtiger Generationen gerecht wird, ohne die Fähigkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.“ Hier geht es also zunächst darum, sozioökonomischen Fortschritt besonders für die Menschen auf der Welt zu bewirken, die notleidend sind. Fortschritt geht jedoch in den meisten Fällen mit dem Verbrauch natürlicher Ressourcen und einer Belastung der Umwelt einher. Dies wiederum bedeutet eine Gefährdung späterer Generationen, weil manche Ressourcen für sie möglicherweise nicht mehr zur Verfügung stehen oder weil die Umweltschäden untragbar geworden sind.

Tripp Bottom line: Die drei Säulen der Nachhaltigkeit

Zehn Jahre später brach der englische Unternehmer und Autor John Elkington den Ansatz mit seiner „Triple Bottom Line“, unter der drei Summen gezogen werden, auf die Handlungsebene herunter. Er forderte ein, Unternehmen nicht nur auf Basis ihrer finanziellen, sondern auch ihrer sozialen und ökologischen Leistungen zu bewerten, indem sie die von ihnen verursachte Umweltbelastung und ihre philanthropischen Aktivitäten ebenfalls „bilanzieren“. In diesem Sinne ist heute weitestgehend unstrittig, dass ökonomische, soziale und ökologische Ziele die drei Säulen der Nachhaltigkeit sind.

Corporate Social Responsibility zwischen Verantwortung und Pragmatismus

Während der Begriff „Nachhaltigkeit“ eher proaktiver Natur ist, war das Konzept der „Corporate Social Responsibility“ (CSR) in seinen Ursprüngen eher reaktiv angelegt. Im gesellschaftspolitischen Zeitgeist der 1950er und 1960er Jahre in den USA forderten Wissenschaftler dort erstmals eine Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen ein, die über die Absicht, im gesetzlichen Rahmen Gewinne zu erzielen, hinausging. Zu dieser ökonomischen und rechtlichen Verantwortung traten eine moralische und eine philanthropische Verantwortung hinzu, der Unternehmen nun gegenüber ihren „Stakeholdern“ nachzukommen hatten. Unternehmen hatten damit auf die Forderungen der Gesellschaft zu reagieren.

CSR: Social heißt nicht sozial

Heute wird CSR pragmatischer als Management-Ansatz verstanden, durch den Unternehmen Werte für sich und Werte für ihre „Stakeholder“ („Shared Value“) herstellen sollen. CSR verlangt also keinen Gewinnverzicht, ganz im Gegenteil, sondern dient dazu, die Wertschöpfung intelligent zu steigern. Corporate Social Responsibilty findet daher primär im Kerngeschäft statt und nicht im Rahmen philanthropischen Engagements. Um eine ausschließliche soziale Verantwortung im engeren deutschen Sinne, also beispielsweise um Sozialleistungen, ging es dabei nie. Hier wurde und wird der Begriff oft falsch interpretiert, da „social“ im Englischen in diesem Kontext nicht „sozial“, sondern „gesellschaftlich“ bedeutet. Auch der Begriff „Corporate Citizenship“ wird oft als Synonym für CSR verwendet, was nicht abwegig ist, da er das Verhalten von Unternehmen beschreibt, die ebenso wie gute Bürger ökonomisch klug agieren, die Gesetze achten und sich gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft verantwortlich zeigen.

Kultur guter Führung: Corporate Governance

Inhaltlich weiter entfernt, erfreut sich der Begriff der „Corporate Governance“ großer Beliebtheit. Er beschreibt Prinzipien und Praktiken guter Unternehmensführung und richtet sich dabei vor allem an die an die Ebene von Vorstand und Aufsichtsrat. Hier gilt es, eine Kultur guter Führung und Kontrolle in Unternehmen zu garantieren, so dass die Mitglieder der Organe im Sinne der „Shareholder“ und der „Stakeholder“ agieren. Damit tut sich ein Unterschied zur Idee von „Corporate Citizenship“ auf. Während Unternehmen sicher auch ohne Philanthropie verantwortlich agieren können, wird dies ohne gute „Governance“ nicht gehen. Wenn es an der Spitze von Unternehmen zu betrügerischem Handeln kommt, wird es kaum noch möglich sein, insgesamt verantwortlich zu agieren.

Die Frage ist: Wie verdient ein Unternehmen sein Geld?

Um die beiden zentralen Begriffe Nachhaltigkeit und CSR zusammenfassend in Verbindung zu bringen, kann CSR als unternehmerischer Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung verstanden werden. CSR betont damit die moralische Verantwortung und entsprechende Aktivitäten, während Nachhaltigkeit, wie der Begriff schon suggeriert, einen angestrebten Zustand beschreibt. Ohne eine funktionierende „Corporate Governance“ wird die Übernahme einer solchen Verantwortung jedoch misslingen, wobei „Corporate Citizenship“ allein sie auch nicht befördern kann. Schließlich könnten Unternehmen sehr wohl viel Geld für gute Zwecke geben, zugleich aber ihr Kerngeschäft ohne Rücksicht auf die Ökologie oder das soziale Umfeld betreiben. Vereinfacht gesagt, geht es darum, wie Unternehmen ihr Geld verdienen und nicht, wie sie es ausgeben.

Konzentration auf Nachhaltigkeit und Social Responsibility

Unternehmen, die sich mit der Thematik auseinandersetzen, ist zu raten, sich vor allem im Hinblick auf die Begriffe CSR und Nachhaltigkeit auf einen von beiden zu konzentrieren. Zu oft werden diese in der Kommunikation eher wahllos verwendet, ausgetauscht und variiert, was zu Unverständnis in und außerhalb von Unternehmen führt. Dabei sollte ohnehin nur das in Anspruch genommen werden, und zwar egal unter welchem „Label“, was auch wirklich passiert. In der medial transparenten Gesellschaft ist das Risiko, für soziale oder ökologische „Augenwischerei“ entlarvt zu werden, schlicht zu groß.

Autor: Prof. Dr. Matthias S. Fifka, Vorstand des Instituts für Wirtschaftswissenschaft, Lehrstuhl Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Strategisches und Werteorientiertes Management, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

Fotos: Istock // 7.2.2019

Die E-Zigarette Vype: Schmauchen statt rauchen

Das Tabakunternehmen BAT macht mit der E-Zigarette Rauchen wieder salonfähig. Neben intensiver Forschung und Entwicklung war eine neue Kommunikationskultur ein Erfolgsfaktor. Dafür wurde Area Director DACH, Ralf Wittenberg, kürzlich mit dem SignsAward ausgezeichnet.

Es war ein glanzvoller Moment für die zuletzt arg gebeutelte Tabakindustrie: Der Area Director von British American Tobacco für Deutschland, Österreich und der Schweiz, Ralf Wittenberg, wurde kürzlich in München mit einem SignsAward, dem Oscar der Kommunikationsbranche, für Offenheit in der Kommunikation geehrt. Grund für die Auszeichnung: Mit großer Energie hat Wittenberg eine Kampagne lanciert, um den 15 Millionen deutschen Rauchern eine risikoärmere Alternative zum Tabakrauchen nahezubringen.

Denn das war nötig. Zwar macht die BAT Geschäfte in 41 Ländern, beschäftigt weltweit mehr als 50.000 Mitarbeiter und erzielt allein in Deutschland 19 Prozent Marktanteil. Doch die einst renommierte Branche mit den prestigeträchtigen Produkten hat seit langem ein Problem: Zigaretten schaden der Gesundheit, der Gesetzgeber zwingt die Hersteller dazu, mit abschreckenden Bildern und Aussagen vom Genuss der Produkte abzuhalten. Hohe Steuern haben Zigaretten zu einem teuren Luxusartikel gemacht. Die Folge: Allein zwischen 2011 und 2015 hatte die BAT einen Absatzrückgang von 17 Prozent zu verkraften.

Ralf Wittenberg, Area Director DACH BAT
Ralf Wittenberg, Area Director DACH der BAT, wurde für seine erfolgreiche Kommunikationsstrategie ausgezeichnet

Mit Vype: Aufbruch im 90. Jahr

Diese vermeintlich ausweglose Situation für das traditionelle Geschäftsmodell führte bei den Verantwortlichen zu einem radikalen Umdenken. „Wie wäre es, wenn wir eine Zigarette entwickeln, die dem Raucher risikoärmeren Genuss erlaubt? Denn auch in der Zukunft, darin waren sich Wittenberg und seine Mitarbeiter sicher, würde es Menschen geben, die Nikotin, den Hauptwirkstoff in Zigaretten, genießen wollen würden.

Im 90. Jahr ihres Bestehens vollzog die BAT einen mutigen Neustart: Sie führte die E-Zigarette ein. Ihr Name: Vype. Entscheidender Unterschied zur klassischen Zigaretten ist das andere Verbrennungsprinzip: In der E-Zigarette entsteht kein Rauch mit seinen gesundheitsgefährdenden Bestandteilen, sondern Dampf, der dem Raucher das begehrte Nikotin als Träger zuführt. Das Rauchen wird zum Schmauchen, oder genauer: Dampfen, und damit vergleichsweise harmlos: Der Anteil gesundheitsschädlicher Stoffe im Tabakrauch, darunter etwa Kohlenmonoxid, Formaldehyd und Acetaldehyd, sinkt um 95 Prozent. Dies wurde durch ein üppiges Forschungs- und Entwicklungsbudget möglich. Seit 2012 hat die BAT 2,5 Mrd. Euro in die Produkte der nächsten Generation investiert. Interessant dabei: 54 Prozent der deutschen Bevölkerung glauben, E-Zigaretten seien so gefährlich wie konventionelle Zigaretten.

Stefan Endrös, SignsAward Gründer
Stefan Endrös vom Mitveranstalter Journal International ist SignsAward Gründer

E-Zigarette Vype: Offenheit und Transparenz in der Kommunikation

Hier setzte Wittenberg an: Seine Strategie war, transparenter und offener über Risiken des Rauchens zu sprechen – und die Chancen des neuen Produkts. Lohn des Wagnisses: Die E-Zigarette Vype entwickelt sich so dynamisch wie das neue Marktsegment, das für 2017 3,7 Millionen E-Zigarettenraucher und ein Umsatzvolumen von 600 Millionen Euro in Deutschland bedeutete. Vertrieblich interessant: Während die klassische Zigarette vorwiegend im Einzelhandel und über Automaten verkauft wird, lassen sich E-Zigaretten auch online sehr gut absetzen. Vype soll im nächsten Schritt ein globales Produkt werden. In Großbritannien, Frankreich, Italien, Polen und Kolumbien ist sie bereits erhältlich. https://www.govype.com/de/

E-Zigarette Vype

Autor: Kai Bargmann

Fotos: BAT; SignsAward // Datum: 28.6.2018

Die neue Seidenstraße: Gute Chancen für deutsche Premium-Unternehmen

900 Milliarden Euro investiert China in die alte Handelsverbindung für eine neue Seidenstraße. Nicht nur die Baubranche profitiert, auch Konsumartikelhersteller und Premium-Unternehmen können im großen Stil profitieren. Mehr im Interview mit Experte Prof. Gabriel J. Felbermayr.

Ein Hauch von Mystik: Die alte Seidenstraße

Die älteste Handelsverbindung der Welt ist die antike Seidenstraße. In diesem Begriff schlummert ein Hauch von Mystik mit jahrhundertelanger Weltgeschichte. Über Monate hinweg transportierten Kamel-Karawanen vor allem kostbare Seide, seltene Gewürze und edle asiatische Teesorten von China nach Europa.

Handelswege in China

Jahrhundertprojekt: Die neue Seidenstraße

Die neue Seidenstraße ist ein gigantisches Projekt, ein Jahrhundertwerk, in das China über 900 Milliarden Euro investiert. Mit der „One-Belt-One-Road-Initiative“, die der chinesische Staatspräsident Xi Jinping initiiert, werden die Handelswege entlang der legendären Seidenstraße im großen Stil ausgebaut. Das Ziel: schnellere Transportwege für den Im- und Export. Bereits 60 Länder, natürlich auch Deutschland, sind an die neue Route angeschlossen. Der Bau von Trassen, Eisenbahnlinien und Wirtschaftskorridoren schreitet in gewaltigem Ausmaß voran und kurbelt die Wirtschaft an. Nicht nur die inländische Baubranche kann vom wirtschaftlichen Aufschwung im Rahmen der Seidenstraße profitieren, auch der Konsumartikelmarkt. Deutsche Premium-Unternehmen sollten hier hellhörig werden.

Prof. Gabriel J. Felbermayr, Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft in München

Chance für deutsche Unternehmen

Prof. Gabriel J. Felbermayr, Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft in München und Experte für Themen an der neuen Seidenstraße, sprach mit uns über die Entwicklungen im chinesischen Konsumartikelmarkt und die Herausforderungen an deutsche Premium-Unternehmen.

Wie hat sich Chinas wirtschaftliche Situation in den letzten Jahren entwickelt?

Das chinesische Wachstum war in den letzten Jahrzehnten von Investitionen in Fabriken, Maschinen und Infrastruktur getrieben. Diese Phase kommt langsam zum Ende. China ist nun ein Land mit mittlerem Einkommen, und wild entschlossen, nicht in der „middle income trap“ gefangen zu bleiben. Das geht nur, wenn die neuen Wachstumsimpulse von der Konsumentennachfrage kommen.

Wie kann die Konsumentennachfrage denn steigen?

Die politische Stabilität Chinas setzt eine zufriedene Mittelschicht voraus. Dort werden die Einkommen weiter steigen, und damit die Nachfrage nach europäischen Konsumprodukten.

Was bedeutet das für die deutsche Luxusgüter-Industrie?

Ausländische Konsumartikel, vor allem aus Europa und insbesondere aus Deutschland, haben in China einen hervorragenden Ruf. Sie gelten als qualitativ hochwertig und sicher. Der chinesische Milliardenmarkt bietet hier also riesige und weiter wachsende Chancen.

Welchen Rat geben Sie deutschen Premium-Unternehmen mit auf den Weg?

Die Konsumartikelhersteller sollten sich auf die Besonderheiten des chinesischen Marktes einstellen. Dazu gehört auch, dass es in jedem Produkt rasch Nachahmer gibt, und der Wettbewerbsdruck groß ist. Allerdings bietet die schiere Größe Chinas Chancen wie kaum ein anderer Markt auf der Welt.

Autorin: Constanze Willemeit

Fotos:istock, shutterstock // Datum: 27.6.2018

Bayern International
„Das hat niemand sonst!“

Hans-Joachim Heusler ist Geschäftsführer von Bayern International, der Gesellschaft für internationale Wirtschaftsbeziehungen. Im Interview spricht er über Ziele und Entwicklung dieses besonderen Instruments für Exportförderung. 

Herr Heusler, Aufgabe von Bayern International ist es, den bayerischen Mittelstand in seiner Exporttätigkeit
zu unterstützen. Wie funktioniert das in der Praxis?

Ein klassischer Weg von Bayern International ist die Messebeteiligung, damit sich die Unternehmen direkt den Kunden präsentieren können. Die zweite Möglichkeit ist über Delegationsreisen, da ist die Politik der Türöffner. Die Unternehmen kommen in Kontakt mit potenziellen Kunden und Entscheidern vor Ort. Die dritte Möglichkeit sind Unternehmerreisen. Da geht es um die Erkundung neuer Märkte, die Interessen der Unternehmen stehen noch mehr im Vordergrund. Das haben wir ergänzt um Delegationen, die wir zu uns einladen. Wenn wir z. B. erfahren, dass Bulgarien EU-Fördergelder für die Abfallwirtschaft erhält, laden wir Stadtdirektoren etc. ein und bringen sie mit bayerischen Unternehmen in Kontakt, die Module wie Müllverbrennungsanlagen liefern können.

HANS-JOACHIM HEUSLER
… studierte Rechtswissenschaften und Politik an der Universität Regensburg. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen 1983 Berufsstart im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr. 1990 wurde Heusler persönlicher Referent des bayerischen Ministerpräsidenten. Nach einem Intermezzo bei der Bayernwerk AG trat er 1993 wieder in die Bayerische Staatskanzlei ein. Von 2005 bis 2008 arbeitete er bei der Messe München, zuletzt als Geschäftsführer. Seit Mitte 2008 ist Heusler Geschäftsführer von Bayern International. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Wie kommt man vom politischen Gespräch zum konkreten Auftrag?

Im Anschluss finden B2B-Gespräche statt, in denen das Unternehmen mit dem Gegenüber konkret sprechen kann. Dann sieht man sich eine Müllverbrennungsanlage in der Praxis an. Das gilt auch für andere Branchen wie beispielsweise die Medizintechnik. Das machen wir seit 2004, es nennt sich „Bayern – Fit for Partnership“. Das haben wir auch auf das Ausland übertragen. Wir gehen dann bezogen auf ein bestimmtes Thema in ein Land und nehmen die Firmen mit, die das in dem Land umsetzen würden. Die Unternehmen schauen also, wo sie tätig werden würden.

Wo sehen Sie die Grenzen Ihrer Aktivitäten?

Wir haben beispielsweise festgestellt, dass man bestimmte Projekte auf diese Art nicht akquirieren kann, zum Beispiel den Bau eines Krankenhauses oder Fußballstadions. Das findet auf keiner Messe statt, sondern man muss vor Ort bei der Entstehung dabei sein. Bayern International versucht also für diese Projekte, als Partner in Märkten aufzutreten und Entwicklungspartnerschaften zu etablieren.

Wo liegen regionale Schwerpunkte der Entwicklungspartnerschaften?

Allgemein gesagt: Überall da, wo etwas zu entwickeln ist. In hoch entwickelten Ländern wie den USA, Japan oder Korea ist das natürlich etwas anderes, als im westlichen China oder Südostasien oder Afrika, wo Staaten im Aufbruch sind. Wir profitieren dabei, wenn man so will, immer noch von der Finanzkrise, weil andere Länder gesehen haben, dass wir mit unserer mittelständischen Struktur gut durch die Krise gekommen sind. Jetzt sind wir als Vorbild geeignet. Bayern International sucht nach dem USP einer Region und versucht mit den Verantwortlichen, die Potenziale zu entwickeln. Dabei achten wir zum Beispiel darauf, dass Rohstoffe im Land selbst verarbeitet werden, damit man dort daran verdient. Die Partnerschaft bedeutet, dass wir analysieren, was schon da ist und was wir zu der Wertschöpfungskette mit bayerischen Unternehmen ergänzen können. Interessante Wertschöpfungsketten basieren auf Bodenschätzen, Landwirtschaft, Forst und Holz oder Fischerei. Eine weitere Möglichkeit für den Einsatz bayerischer Technik oder Beratung besteht beim Upgrading von Unternehmen auf 4.0-Niveau.

Gibt es dazu Entwicklungen?

Derzeit diskutieren wir eine fünfte Wertschöpfungskette, eine horizontale: Gesundheit – von der Ernährung bis zur Reha. Insgesamt haben wir 19 Clusterorganisationen, von der Biotechnologie bis zur IT. Die eignen sich als Verteiler zu den Unternehmen, die bei den Entwicklungspartnerschaften beteiligt werden können.

Was sind die regionalen Trends?

Zurzeit geht es stark nach Südostasien und Südamerika. Am Horizont zeichnet sich Afrika ab, das großes Potenzial hat. Es ist aber im Vergleich zu Südostasien noch nicht so entwickelt. Auch die politischen Verhältnisse sind nicht so stabil. USA und Kanada sind Dauerbrenner, dort stellt sich nur die Frage nach der Konjunktur. Südamerika ist sehr weit weg und für den Mittelstand nicht so leicht zu erreichen, aber das Potenzial ist vorhanden und wir arbeiten daran.

Sind Sie als Geschäftsführer von Bayern International auf den Reisen ständig dabei?

Auch das hat sich entwickelt. Am Anfang wollte ich mir einen Eindruck vor Ort verschaffen und war viel auf Messe- und Delegationsreisen dabei. Jetzt mache ich das eher, wenn ich einen neuen Mitarbeiter begleite. Andererseits bin ich primär dort unterwegs, wo es darum geht, neue Märkte zu sehen. Die Standardmärkte sind für mich nur dann interessant, wenn wir mit einem neuen Produkt reingehen, so wie etwa vor vier oder fünf Jahren, als die IT-Security aufkam.

Bayern International unterstützt Unternehmer bei der Kontaktaufnahme in den neuesten und spannendsten Märkten.

Was waren Höhepunkte Ihrer Geschäftsführertätigkeit bei Bayern International?

Die Entwicklung ist aus meiner Sicht kontinuierlich positiv verlaufen. Als ich Bayern International übernahm, war die Institution anerkannt, und das ist nicht schlechter geworden. Wir sind heute breiter als damals unterwegs. Wir haben neue Instrumente wie die Entwicklungspartnerschaft entwickelt. Nach „Bayern – Fit for Partnership“ kam „Solutions – Made in Bayern“ dazu. Das funktioniert ähnlich wie „Bayern – Fit for Partnership“, hat aber eine andere Länderkulisse. Mit „BayernKonferenz-Plus“ haben wir ein neues Programm aufgenommen, damit Unternehmen nicht nur auf Messen, sondern auch auf Kongresse gehen können; nicht nur zuzuhören, sondern einen Slot zu bekommen und sich als Akteur darzustellen. Manche Länder sind schwer anzugehen, Laos oder Kambodscha etwa, weil dort erst mal keine Chancen zu erkennen sind. Aber das lässt sich entwickeln. Wenn ich aber mit Unternehmern schon vor Ort bin, zum Beispiel in Vietnam, kann man mit wenig zusätzlichem Aufwand ein weiteres Land besuchen. Das nennen wir „Messe plus“. An den Chancen ändert sich nichts, aber die Hemmschwelle sinkt.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Ein unbezahlbares Asset ist unsere Firmendatenbank. Darin haben wir 32.000 Einträge bayerischer Firmen und Institutionen. Die können wir öffentlich vermarkten. Jeder kann sich in diese Datenbank kostenfrei eintragen. Viele Firmen, etwa 60 Prozent, pflegen ihre Seiten selbst, was man nur macht, wenn man glaubt, dass es sich lohnt, die Daten aktuell zu halten. Wir haben 60 Prozent Zugriffe aus dem Ausland. Der Clou ist die Struktur der Datenbank. Neben dem regionalen Markt erfassen wir dort – unterhalb der Branche – den fachlichen Markt. Beispiel IT: Dort können wir gezielt unterscheiden, ob die Software für Medizin oder E-Government eingesetzt wird. Das hat, soweit ich weiß, niemand außer uns. Wenn ich dann zum Beispiel in Mosambik über eine Entwicklungspartnerschaft sprechen will, kann ich live in der Präsentation relevante Firmen mit Interesse an Mosambik in der Datenbank aufrufen. Ich mache das meist sukzessive: Zuerst nur die Firmen, die an dem Land interessiert sind. Dabei kommt meist schon eine imposante Liste zusammen. Dann schränke ich nach Branche ein, was die Zahl der Unternehmen zwar verringert, doch immer noch sind es ziemlich viele – das beeindruckt unsere Gesprächspartner regelmäßig und macht uns glaubwürdig.

Was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?

Wir werden verstärkt in Südostasien aktiv. Afrika wird eine Rolle spielen. Der Nahe Osten, vor allem Iran und Jordanien, und der amerikanische Kontinent wird weiter stark bleiben. In der Biotechnologie werden wir statt Infoständen auf einigen Messen gemeinschaftliche Beteiligungen haben. Zunehmend stärker wird die IT Security, vor dem Hintergrund des Internet of Things und damit zusammenhängend das Thema 4.0. In den Entwicklungspartnerschaften hoffen wir, dass aus den Einstiegen der letzten Jahre mehr als Beraterverträge werden. Mit INSITE Bavaria gibt es mittlerweile ein eigenes bayerisches Kompetenzzentrum für die Standortentwicklung in Schwellenländern, das unsere Arbeit optimal ergänzt. Digitalisierung und die Games-Branche sind weitere Schwerpunkte. Digitalisierung taucht bei immer mehr Fachmessen auf. Aber auch große Messen wie der Mobile World Congress bleiben wichtig, obwohl sie wahnsinnig teuer sind. Für kleine Firmen ist das schier unerschwinglich, da helfen wir.

Autor: Kai Bargmann

Fotos: Markus Hirner // Datum: 31.1.2018