Der postpandemische Konsument – was jetzt wirklich zählt

Was uns Corona abverlangt, wird nicht nur die digitale Transformation des Mittelstandes um ein Vielfaches beschleunigen, es wird unser Konsumverhalten auf Jahre hinaus grundlegend verändern. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die schon vor der Pandemie über einen entsprechenden digitalen Reifegrad und eine eingeübte Prozess-Kommunikations- und Analyse-Klaviatur verfügten, werden darauf schneller, direkter und wettbewerbsfähiger reagieren können als andere.

Es ist wichtig, die Kommunikation aufrecht zu erhalten

Wir sind alle nur Menschen und wir begreifen gerade, dass wir, wie (schon) Papst Franziskus in seinem einsamen Urbi et Orbi Segen auf dem menschenleeren Petersplatz verkündete, allesamt tatsächlich zum allerersten Mal in einem Boot sitzen, und doch mutterseelenallein sind. Die Krise zeigt, wie wichtig es ist, die Kommunikation aufrecht zu erhalten. „Keep the fire burning“ – ja es ist wie ein Lagerfeuer, an dem Freunde zusammen kommen, um sich zu wärmen und mit Gänsehaut Geschichten zu lauschen, die man jetzt einfach hören will.

Aufrichtige Wertschätzung und Verständnis

Empathie ist das Sehnsuchtsgefühl und nicht nur in schwierigen Zeiten eine der wichtigsten Fähigkeiten und kommunikativen Gaben, wenn es darum geht, Gefühle anderer behutsam nachzuvollziehen und sich so in sie hineinzuversetzen. Auch in der Customer Experience, dem spannenden Weg von der Äußerung eines Bedürfnisses bis hin zu seiner Befriedigung, wird man der Dünnhäutigkeit des Kunden nur durch aufrichtige Wertschätzung und Verständnis für seine neue Wahrnehmung der Dinge begegnen dürfen, wenn man ihn weiter behalten möchte.

Wenn Luxuskonzerne wie LVMH und Hermès Millionenbeträge aufbringen, um Masken und Desinfektionsmittel für Hotspots zu organisieren, wenn Marriott aus seinen Hotelküchen Krankenhäuser und Pflegekräfte versorgen lässt, dann ist das nicht Marketingkalkül, sondern Hilfe aus Betroffenheit. Weltmarken und Verbände zeigen in diesen Zeiten Understatement und teilen dieses „wir“-Gefühl mit ihren Kunden und Gästen.

Neue Distributionskanäle

Bei der täglichen TV-Berieselung ist mir die Besitzerin eines Spielzeuggeschäfts in Erinnerung geblieben, die in ihrer Verzweiflung über die Ladenschließungen ihre Schaufenster mit Fotos der Spielsachen und Bezugsinfos zukleisterte und so zumindest einen neuen, analogen Distributionskanal für Nachbarn und Passanten auftat.

Nichts anderes tun Händler, wenn sie Social Media nutzen, um Waren per Bild oder Video zu posten, oder DIY-Beiträge in Youtube einzustellen, oder zu Live-Chats und Webinaren einzuladen.

Digitale Messebesuche und Live-Chats

Der Kahlschlag der Messen, Veranstaltungen, Events und Feste erschüttert alle Branchen. Es ist, als dürfe man nicht mehr zeigen, was man hat und was man kann. Das trifft Deutschland als Export-Weltmeister besonders hart. Alle Veranstaltungen, die zunächst auf Mitte des Jahres verschoben wurden, sind komplett abgesagt oder vage auf die Jahre 2021 oder gar 2022 vertagt. Zwar kann man das Oktoberfest virtuell nicht klonen, aber es haben sich zumindest digitale Messebesuche international durchgesetzt, teilweise mit Live-Chat-Funktion. Durch den Wegfall der Uhren-Messen Baselworld und Watches & Wonders in Genf und anderer Luxusmessen schien gerade dieser Sektor wie gelähmt zu sein. Doch soeben punktet Cartier mit einer digitalen Manufaktur-Plattform, um seine Neuheiten zu präsentieren, und der Genfer Uhrensalon zog nach mit einer digitalen Bühne namens „Watches & Wonders“, auf der sich, so Messe-Chefin Fabienne Lupo, „die edelsten Uhren-Marken der Welt“ präsentieren dürfen. Hierzu zählen mehrheitlich die Stars des Luxusgüter-Konzerns Richmont mit Lange & Söhne, IWC und notabene Cartier.

Der post-pandemische Konsument

Dem Virus die Stirn bieten – geht das so einfach? Oder machen die großen Marken hier die Rechnung ohne den Wirt? Die Verbraucherstimmung ist mau, der GFK Konsumklima-Index auf Rekordtief. Das ist ein klares „No“ für den puren Absatz und ein Zeichen, dass die Marken jetzt Geschichten brauchen, die die Leute auch hören wollen. Doch nicht nur die Premium-Welt, sondern auch die breite Masse spürt Veränderung. Bisher analog agierende Bevölkerungsschichten freunden sich (not-gedrungen) mit Alltags-Digitalität an. Vor allem ältere Menschen, die bislang eher abwinkten, finden durch Videotelefonie-Anbieter plötzlich den Ausweg aus häuslicher Zwangseinsamkeit, wobei sich Zoom dank kinderleichter Benutzerfreundlichkeit zum Primus dieses neuen Geschäftsfeldes mausert.

Verändertes Konsumverhalten durch die Corona-Pandemie

Nachhaltige Veränderungen durch Social Distancing, Homeoffice und neuer Verhaltensregeln führen auch zu verändertem Konsumverhalten. Von der neuartigen Verdeckung durch Mund-Nase-Schutzmasken könnten Kosmetikhersteller von Augen-Make-Up profitieren. Überhaupt werden ganz neue Produkte und Dienstleistungen in enger Verquickung mit digitalen Tools und hohem Automatisierungsgrad durch Künstliche Intelligenz auf den Markt kommen.
Der post-pandemische Konsument 4.0, dem Home- oder Küchen-Office lieb geworden ist, wird dem Cocooning weiter zusprechen: in seinen eigenen vier Wänden renovieren, die Küche neu gestalten, der videogestützten Home-Fitness weiter frönen, sowie Lieferdienste und Abo-Modelle in Anspruch nehmen. In diesen Geschäftsbereichen dürften auch maßgeblich einige Treiber des Wiederaufschwunges zu finden sein.

Finanzanbieter und Banken müssen sich wandeln

Bei Finanzanbietern und Banken wird erhöhter Kommunikationsbedarf von Nöten sein, um gegen die allgemeine Verunsicherung von Kunden vorzugehen und sich in bestehenden Geschäftsbeziehungen glaubhaft als verlässlicher Partner zu positionieren. Dabei werden Bigtech-Unternehmen, als auch kleine, agile Fintech Start-Ups versuchen, den Etablierten das Wasser abzugraben. Es heißt also dran zu bleiben am Kunden! Abwarten und Tee-Trinken ist das denkbar falscheste Signal. Gerade wenn der Umsatz ausbleibt, kann es sich letztlich auszahlen, sich auf ehrliche und authentische Weise bemerkbar zu machen.

Eine andere Sicht auf das Wesentliche

Zuerst wird die gute alte Globalisierung von China und den USA durch Embargo und Retorsion schwer demoliert, dann kommt ein Virus, das Lieferketten zerschneidet wie Seidenpapier. Bedeutet diese Entwicklung einen endgültigen Garaus für den grenzenlosen Handel? Wir werden sehen, worauf sich die Welt „danach“ besinnt. Eines aber scheint sicher: Wir werden das, was wir an Miteinander durch Distanz gewonnen haben, nicht mehr aufgeben wollen. Die Menschen werden eine andere Sicht auf das Wesentliche haben und auch anders miteinander kommunizieren. Wer das verinnerlicht, könnte gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Autor: Gerd Giesler
Fotos: Deutsche Börse AG, Leichtaus, iStock / Datum: 28.4.2020