Shopping in China: Schöne neue Shoppingwelt

In China boomt der Onlinehandel schon lange – und die kunstvolle Konsumwelt für sowohl luxuriöse wie unelitäre Einkaufserlebnisse in großen luftigen Centern. Ist Shopping wie in China auch für uns ein Modell mit Zukunft?

Typisch Shanghai

Ein altes Transistorradio spielt Charleston, Frauen und Männer tanzen dazu unter freiem Himmel im Xiangyang-Park, andere machen Tai-Chi. Schräg gegenüber windet sich die schwarz-goldene Fassade von Prada wie modernes Art déco an der Huanmao IAPM Shopping Mall in Shanghai empor. McQueen, Gucci, Vuitton … es gibt kaum einen Star der Modewelt, der nicht einen seiner Flagshipstores hier hat. Die Luft ist mit Designerdüften parfümiert.

Typisch China, typisch Shanghai: Die Zeit scheint an manchen Stellen im letzten Jahrhundert stehen geblieben zu sein. Unter Stromkabel-Girlanden, die sich wild durch verfallende Häuserschluchten winden, sieht man auch noch Menschen in Mao-Jacken. Zugleich schießen an pariserisch boulevardesquen Prachtstraßen gleißende Skyscraper in die Höhe, nicht nur einer, unzählige moderne Konsumtempel reihen sich aneinander, höher, größer und bunter blinkend als in jeder europäischen Metropole. Eine gigantische Konsumwelt. Allein die Einkaufsstraße Nanjing Lu ist rund zehn Kilometer lang.

Chinesen lieben europäische Luxuslabels

Die starke Ober- und gehobene Mittelschicht Chinas besteht in erster Linie aus einer zahlungskräftigen, jungen Generation, die Luxusmarken liebt. Laut einer McKinsey-Studie aus dem Jahr 2019 geben chinesische Konsumenten jährlich 73 Milliarden Dollar für Luxuswaren aus, das ist fast ein Drittel des Weltmarktes. Während Ware aus China in Europa oft als billig gilt, wird in der Volksrepublik selbst schnell deutlich, wie ausgeprägt das Bewusstsein für bewährt starke Marken ist. Vor Chanel stehen chinesische Frauen und Männer auf langen roten Teppichen an – ja, auch Männer zeigen sich im Straßenbild der Städte auffallend modebewusst!

Shoppen per QR-Code

Der italienische Luxuskonzern Prada eröffnete in den vergangenen Jahren 81 Läden in China – ein Modeimperium, das in der Volksrepublik eine Präsenz zeigt wie hierzulande nur Modehersteller wie H&M. Und nicht nur in den Metropolen wie Hongkong und Shanghai, die seit dem ersten Opiumkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts vom Handel mit dem Westen geprägt sind, boomt das Geschäft des italienischen Schuh- und Taschenproduzenten. Auch in Städten wie Xi’an in der zentralchinesischen Provinz Shaanxi ist Prada auf dem Vormarsch.

Es braucht auch nicht viel für die Eröffnung eines Geschäfts. Bei Moncler läuft eine Puppe mit einer Jacke durch das Schaufenster, als wäre sie der erste Mensch auf dem Mond. Und auch große Lagerbestände sind nicht nötig. Chinesische Kunden fassen die Ware gerne mal an, mehr nicht – lieber per QR-Code bezahlen und nach Hause kommen lassen, als sie durch Dutzende Stockwerke und die Milliarden-Einwohner-Stadt zu schleppen. Shopping in China ist ein kulturelles Event geworden.

Neue kunstvolle Lebenswelten

Der Hongkonger Unternehmer Adrian Cheng, 40, hat die Entwicklung schon vor über zehn Jahren erkannt und die Kette K11 gegründet. Das Konzept seiner riesigen Shoppingmalls: Kunst und Kommerz. Cafés nicht zu vergessen. Cheng studierte in Harvard, lebte in Japan, bevor er damit begann, etwas „für die Bildung der Bevölkerung“ zu tun: Er verknüpfte Läden mit Räumen und Plattformen für Künstler. Das erste K11 in Hongkong ist in der Hauptsache Museum. Zudem fühlt man sich beim Blick zum Deckengewölbe wie in einer modernen Kathedrale.

Die K11 Art Mall in Shanghai verbindet die Kunst noch deutlicher mit den neuesten Trends der weltweiten Luxusmarken zur Shoppingtour mit Kunstgenuss, ganz im Sinne Andy Warhols: „All department stores will become museums, and all museums will become department stores.“ Auch das Pekinger Galaxy Soho der Stararchitekten Zaha Hadid und Patrick Schumacher zeigt eine Einkaufs- und Arbeitswelt, in der alles ineinanderfließt. Es war Hadids erstes Shoppingcenter, ein imponierendes Beispiel ihrer architektonischen Kunst, das den Menschen ein einzigartiges Shoppingerlebnis bietet und trotz der luxuriösen Warenwelt und Vielfalt unelitär demokratisch rüberkommt – jeder kann hier sein, egal, ob er einkauft oder nur staunend Rolltreppe fährt, und hat dabei richtig viel Platz.

Futuristische Architekturen

Auch die 10-Millionen-Metropole Hangzhou, die einstige Kaiserstadt Südchinas am idyllischen Westsee, ist stolz auf ihre Mega-Einkaufserlebniswelt. Das Raffles City Shopping Centre entstand auf dem Computer des Niederländers Ben van Berkel, eine futuristisch anmutende Architektur wie von einem anderen Stern. Die Hunderte Meter hohen Shopping-, Wohn- und Arbeitstürme haben noch immer Öffnungen, durch die riesige Drachen fliegen könnten!

Andererseits lieben chinesische Kunden es, nicht nur schöne Dinge, sondern auch frisch zubereitete, warme Speisen nach Hause oder an den Arbeitsplatz zu ordern. Dementsprechend steht bei Shopping in China der analogen Erlebniswelt ein riesiges Onlineangebot gegenüber. Der Online-B2B-Marktplatz Alibaba.com aus Hangzhou entwickelte sich in den letzten Jahren zum größten der Welt. Den Wettbewerb für den neuen AliCloud Valley Office Park gewann übrigens das Düsseldorfer Architekturbüro HPP. Norman Foster + Partners wiederum gestalten die Büros von Alibaba Shanghai mit viel Glas, um Einblicke in die Welt von Alibaba zu ermöglichen.

Shopping in China: Homeservice boomt

Doch nicht nur Alibaba, die gesamte Homeservice-Branche boomt. Die Prognosen von Goldman Sachs für das Volumen des chinesischen Onlinehandels liegen bei fast 1,7 Billionen US-Dollar. Ohne die technisch ausgefeilten Bezahlplattformen geht dabei nichts mehr beim Shopping in China. Die riesigen E-Commerce-Geschäfte von Alibaba und Tencent würden ohne sie nicht funktionieren. Aber auch U-Bahn, Leihfahrräder, Stromrechnungen und das Gemüse auf dem nahen Bauernmarkt werden meistens per Handy bezahlt.

Alipay (2004 gegründet) und WeChat Pay (2015) sind die Platzhirsche unter den heute mehr als 200 Bezahlplattformen. 80 Prozent der Milliardenumsätze entfallen auf die beiden Großen, die jeder rund eine halbe Milliarde Kunden zählen. Alipay gehört Alibaba, WeChat Pay dem Internet-Riesen Tencent.

Bargeld ist fast abgeschafft

Bargeld ist nicht erst wegen der Pandemie Geschichte. Jetzt sind nichtmal mehr die europäische Touristen da, die es auf den bunten Märkten gerne nutzten. Selbst die freundlichen Schneiderinnen, Medizinhändler am Straßenrand und Taxifahrer mit ihren Handydisplays an den Windschutzscheiben strecken ihren Kunden ein mobiles Zahlgerät entgegen.

Wer nicht auf den anachronistischen Moment verzichten möchte, mit dem Volksgeld Renminbi zu zahlen, tut das möglichst passend Yuan für Yuan. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Verkäufer kein Wechselgeld herausgeben kann. Die Chinesen haben zwar einst das Papiergeld erfunden, aber jetzt sind Registrierkassen und Bargeldschubladen fast abgeschafft – eine stille Revolution ohne Aufstand.

Text: Karen Cop
Fotos: istock // Datum: 03.11.2020