Mit Resilienz Extreme meistern

Besondere Ausnahmesituationen erfordern besondere Kräfte, im Privatleben, als Führungskraft im Job, als Unternehmen oder weltumspannende Organisation. Resilienzforschung zeigt, wie man sich auf Extremsituationen vorbereitet und Lösungsansätze trainiert. Es gibt sogar eine Norm dafür: ISO 22316

Extremsituationen bedeuten Stress – im Privatleben genauso wie im Job: ein wichtiger Kunde springt ab und plötzlich klafft eine riesige Umsatzlücke. Hier den Mut nicht zu verlieren und stattdessen neue Umsatzquellen zu erschließen, gleicht einem Drahtseilakt in schwindelerregender Höhe. In einem anderen Fall ist Umstrukturierung angesagt. Die berufliche Zukunft steht auf der Kippe. Jetzt heißt es alte Zöpfe abzuschneiden und die Herausforderung anzunehmen.

Locker auf dem Drahtseil balancieren

Wer auf dem Seil balanciert, versucht diese Widrigkeit auszugleichen und in den ursprünglichen Zustand zurückzufinden. Bloß keinen Blick in die Tiefe riskieren. Er bedeutet Verunsicherung. Es geht darum dem Stress zu widerstehen, ihn an sich abprallen zu lassen, resilient zu sein (lateinisch: resiliare = abprallen). Resilienz als Strategie, um in Ausnahmesituationen ans Ziel zu kommen. Oftmals steht man nach der Herausforderung sogar besser da als vorher, weil die Überwindung von Hindernissen in der Regel noch stärker macht.

Bounce Forward – das Prinzip Resilienz

„Bounce forward“ nennt das Florian Roth vom Fraunhofer Institut für Innovationsforschung. Eine Eigenschaft die auch auf Materialien zutrifft, die nicht brechen, wenn großer Druck auf sie ausgeübt wird. Bambus ist so ein Material, das sich biegt im Sturm ohne zu brechen. In der Psychologie wird das Prinzip auf den Menschen angewendet. Mit Resilienz wird die innere Stärke eines Menschen bezeichnet.

Auf seine Fähigkeiten konzentrieren

Resiliente Menschen lassen sich nicht so schnell unterkriegen. Sie haben eine gewisse Widerstandsfähigkeit und können Konflikte, Misserfolge, Niederlagen und Schicksalsschläge wie Erkrankungen, Entlassungen oder den Verlust eines nahestehenden Menschen besser meistern als andere. Das gelingt Ihnen, weil Sie ein Netz aufgebaut haben, auf persönliche oder soziale Ressourcen bauen können und auf Extremsituationen flexibler und kreativ reagieren können. Das heißt nicht, dass resilient agierende Menschen unverwundbar sind. Sie besinnen sich jedoch relativ schnell auf ihre Stärken und Fähigkeiten mit traumatischen Erlebnissen umzugehen.

Innere Stärke trainieren

Resilienz ist in den wenigsten Fällen a priori gegeben. Sie kann erlernt und durch gezieltes Training auch gestärkt und spürbar verbessert werden. Das Prinzip Resilienz wird mittlerweile für viele Systeme angewendet, auch für Ökosysteme und intelligente Wirtschaftsräume. Sie sind im Idealfall in der Lage sich an Störungen im System anzupassen ohne sich in ihren grundlegenden Funktionen zu verändern. Das Abreißen von Lieferketten durch Katastrophen oder globale Krisen hat gezeigt, wie empfindsam und abhängig wir geworden sind und wie sehr uns solch resiliente Systeme in einer auf Profitmaximierung ausgelegten Welt fehlen.

Eine Pflanze ist Vorbild für die Widerstandsfähigkeit

Die bis zu 1000 Jahre alt werdende Pflanze Welwetschia Mirabilis ist ein Paradebeispiel in Sachen angepasster Widerstandsfähigkeit. In den unwirtlichen Küstenwüsten von Nambia und Angola wächst diese Pflanze trotz sengender Temperaturen von 40 Grad auf einen Durchmesser von bis zu drei Metern heran, indem sie sich nachts vom Tau des Küstennebels ernährt.

Das Resilienzverständnis intelligenter, lernender Ökosysteme kann mit ähnlich krassen Stresssituationen umgehen. In der psychologischen Resilienzforschung spielen solche Aspekte bei der Bewältigung posttraumatischer Reifungsprozesse eine Rolle, die auf eine psychische Immunabwehr setzt. In resilienten Systemen schafft man Puffer und Redundanzen. Fällt eine Niere aus, springt die andere ein und schafft das gleiche Pensum, so ist dies beim menschlichen Organismus gelöst.

In einer Wirtschaftskrise sollte es keinen Domino-Effekt geben, wenn ein wichtiger Player ausfällt. Dazu müssen Übertragungswege gekappt werden können. Das erklärte Ziel: handlungsfähig bleiben.

Eine ISO-Norm für resiliente Organisationen

Die Belastbarkeit von Konzernen oder global vernetzter Organisationen hängt am Business Continuity Managment und der Risikobewältigung. Dabei spielt das Ergebnis des Zusammenspiels von Merkmalen und Maßnahmen sowie Beiträgen verschiedener Führungsfachgebiete eine entscheidende Rolle. Alle werden durch drei Faktoren maßgeblich beeinflusst: durch den Umgang mit Unsicherheiten, die Art der Entscheidungsfindung und der Qualität der Zusammenarbeit in der Belegschaft.

Damit Organisationen auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben wurde die ISO 22316 ins Leben gerufen. Sie basiert auf Prinzipien, auf denen ein organisationales Resilienz-Management aufgebaut ist, Elementen einer resilienten Organisation und Leitfäden zur Entwicklung dieser.

„Resilienz ist kein Zufall. Man kann sie strategisch planen. Fünf Phasen gehen fließend ineinander über: Prepare, Prevent, Protect, Respond und Recover“. Dr. Alexander Stolz, Resilienzforscher am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik

Text: Gerd Giesler
Fotos: istock // Datum: 01.03.2021