Die Perlen von Corvara

Die Beschleunigung der Sehnsucht nach Authentizität und Regionalität fordert ganz neue Hotelkonzepte. Ein Besuch in Südtirol bei den Brüdern Costa, die im La Perla und dem Berghotel Ladinia auf wahre Werte statt austauschbare Trends setzen.

Herzblut statt Coolness: La Perla und Ladinia

Zimmer mit Ausblick, Küche und Keller vom Feinsten, SPA und Hallenbad, die Bergbahnen vor der Nase – solche Hotels gibt es in Südtirol viele. Doch mit seinem ungewöhnlichen, ganzheitlichen Nachhaltigkeitskonzept fallen das La Perla und die kleine Schwester, das Berghotel Ladinia, in Corvara gänzlich aus dem Rahmen. Statt auf Coolness, fernöstlichen Purismus und andere austauschbare Trends, setzt die Hoteliersfamilie Costa auf wahre Werte und trifft damit den Nerv einer neuen Zeit.

Das 2655 Meter hohe Sassongher Bergmassiv inmitten der grandiosen Bergwelt ist das Wahrzeichen von Corvara im Gadertal und entschädigt etwas dafür, dass der Ort viel von seiner Ursprünglichkeit zugunsten des internationalen Tourismus eingebüßt hat. Mit den Seilbahnen Col Alto und Boe erschließt sich nicht nur ein Wanderparadies, Radfahrer finden auf dem Rückgrat von Dolomitenpässen atemberaubende 360-Grad-Panoramen und Wintersportler Anschluss an den weltberühmten Skizirkus Sella Ronda.

Das Hotelkonzept der Costa-Brüder

Im La Perla steht nicht mehr und nicht weniger als das Wohl der Gäste an erster Stelle. Das ist total ernst gemeint und fast so etwas wie eine Philosophie. Behutsam haben die beiden Inhaber-Brüder Mathias, als perfekter Gastgeber, und Michil, der virtuos-kreative Kopf, das ehemalige Skihotel mit dem Charme der späten 90er Jahre zu einer luxuriösen Komfortzone weiterentwickelt. Damit kreierten sie einen unverwechselbaren Stil, der seinesgleichen sucht.

Einen Vorgeschmack davon vermittelt schon die sehr persönliche und witzige Homepage der beiden Häuser. Neue Gäste spüren das schon zum Auftakt, zum Beispiel beim Aperó, der immer donnerstags vis-á-vis in der Ciasa Vedla stattfindet, dem Geburtshaus von Ernesto Costa, das im 15. Jahrhundert erbaut wurde.

Gerstensuppe statt Kaviar in Corvara

Eine „Zeitreise“ titulieren seine Söhne diesen Empfang und man muss sich bücken, wenn man über knarzende Holzdielen von Stube zu Stube wandert – nichts wurde verändert. Hier urige Haushaltsgeräte, dort altes Gewand oder ladinisches Kinderspielzeug. Zu diesem Heimatkunde-Ausflug in die vortouristische karge und entbehrungsreiche Zeit im Hochabteital reichen Mathias und Ehefrau Petra anstelle von Schampus und Kaviar, Südtiroler Wein, kleine Käseknödel, die sogenannten „Bales“ und Gerst’l-Suppe.

Gern erzählt wird dann die Story vom Vater, der frühmorgens noch im Winterdunkel das Waschwasser in der Emailleschüssel gefroren vorfand. Wie anheimelnd geht es dagegen jetzt im Restaurant vom Berghotel zu, wo liebevolle Details wie zu Serviettenringen umfunktionierte Backförmchen oder Sektkorken als Messerbänkchen auf ein Dinner zu zweit oder mit Freunden einstimmen.

Einen Baum für das Gemeinwohl stiften

Im „La Stüa de Michil“ steht Chefkoch Nicola Laera an den Töpfen und Pfannen und kredenzt für maximal 34 Hotelgäste apulisch-ladinische 1-Sterneküche. Gänsestopfleber oder andere, ethisch nicht ins Konzept passende Delikatessen sucht man vergeblich auf der Speisekarte. Und wer dem Fleischkonsum gänzlich entsagen möchte (aber natürlich nicht muss!) und ein veganes Menü bestellt, tut etwas Gutes für die hiesige Natur und darf einen Baum adoptieren. Nach dem verheerenden Sturm Vaia, dem 2018 über 100.000 Nadelbäume zum Opfer fielen, soll damit auf das Wiederaufforstungsprojekt von WOWnature aufmerksam gemacht werden. Es gibt sogar ein Zertifikat und der Gast kann sich bei seinem nächsten Besuch im La Perla selbst ein Bild davon machen, wie sein gepflanzter Baum gedeiht.

Doch das geht den Costa-Brüdern nicht weit genug. Deshalb haben sie die Costa Family Foundation ins Leben gerufen, um das Leid in Togo, Uganda, Äthiopien sowie Indien und Nepal durch 14 sehr konkrete Hilfsprojekte zu lindern. Bei ihrem eigenen Hotelbetrieb setzen die Brüder auf die Gemeinwohlökonomie des österreichischen Vordenkers Christian Felber. Dabei geht es natürlich um Nachhaltigkeit und den behutsamen Umgang mit Ressourcen. Aber auch verstärkt um Vertrauen, Wertschätzung, Solidarität, Kooperation und das Teilen.

Gastfreundschaft, die von Herzen kommt

Der Hotelgast wird als Individuum gesehen und nicht als Kreditkartenträger wie anderenorts. Der ganzheitliche Ansatz bezieht dabei die Zulieferketten der Hotellieferanten genauso mit ein wie die Mitarbeiter. Wichtige Entscheidungen werden immer im Team getroffen. Dieses Maß an Mitverantwortung und Wir-Gefühl führt zu einer viel authentischeren Gastfreundschaft, einer, die von Herzen kommt. Das spürt man trotz Maske, denn die Mitarbeiter lächeln mit den Augen.

Den in Gang gekommenen Wertewandel im Gastgewerbe lebt man hier schon sehr lange. Da war Corona noch ein Fremdwort. In den Zimmern und Suiten heißt eine handgeschriebene Karte den Gast willkommen. Der muss auch nicht immer „on“ sein, wenn er durch den romantischen Kräutergarten bei der alten Mühle streift. Und beim Yoga vor der Kulisse der Dolomiten ist das notorisch-zwanghafte Verlangen, sich ständig selbst optimieren zu müssen, schnell vergessen.

Michil Costa mit Schulkindern des Hilfsprojekts in Nepal
Michil Costa mit Schulkindern des Hilfsprojekts in Nepal
Text: Gerd Giesler
Fotos: Gustav Villeit, Costa family foundation // Datum: 08.10.2020