Lebenslanges Lernen

In einer Welt, in der sich Wissen und Technologie rasant weiterentwickeln, ist lebenslanges Lernen notwendig geworden. In unserem Interview sprechen drei Experten darüber, wie sie mit dem Konzept des „Lifetime Learning” ihr Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen.

Die Welt verändert sich rasant. Geschäftsmodelle verändern sich. Wir sollen uns ständig weiterentwickeln oder neu erfinden. Die Transformation in den Unternehmen und der Perspektivenwechsel werden zum Dauerzustand. Wer nicht mit Partnern und Kunden auf Augenhöhe, authentisch und werteorientiert kommuniziert, zieht heute oft den Kürzeren. Gefragt sind neben ökonomischer auch die ökologische Kompetenz und die Anerkennung ethischer Prinzipien. All dies hat in mittelständische Unternehmen längst Einzug gehalten. Hinzu kommt der wachsende Digitalisierungsgrad, der unseren Alltag zunehmend hybrider gestaltet.

Der Erfinder und Gründer Henry Ford hat einst gesagt: „Jeder, der aufhört zu lernen, ist alt, egal ob er 20 oder 80 ist“. Die Fähigkeit, ständig Neues zu lernen, umzulernen und auch zu verlernen, ist eine Überlebensnotwendigkeit. Für viele heißt es deshalb mehr denn je dazuzulernen und die eigenen Kompetenzen auszubauen. Doch mit den neuen Anforderungen hat sich ein neues Selbstverständnis vom Lernen durchgesetzt. Wir sprachen mit drei Experten, die Lifetime Learning für sich selbst oder ihr Unternehmen erfolgreich praktizieren und konsequent umsetzen.

„Arbeiten und Lernen verschmelzen. Es ist unsere Zukunftsaufgabe, eine lernfreudige Kultur in Unternehmen zu schaffen.“

Prof. Dr.phil. Dipl. Soz. Erich Schäfer

Erich Schäfer, Leiter des Masterstudiengangs „Coaching und Führung“ an der Ernst Abbe Hochschule Jena, Vorsitzender des Instituts für Weiterbildung, Coach und Buch-Autor, untersucht das Phänomen seit vielen Jahren. Von ihm wollten wir wissen, ob lebenslanges Lernen den Schlüssel zu mehr Erfolg und Anerkennung im Leben darstellt.

Erich Schäfer: „Noch viel umfassender! Es ist der Schlüssel zu mehr Zufriedenheit, Selbstwirksamkeit, Autonomie, besseren Beziehungen zu Mitmenschen, ja sogar zu besserer Gesundheit.“

Jeder hat wohl vom lebenslangen Lernprozess seine eigene Vorstellung. Können oder müssen wir lebenslanges Lernen lernen?

„Wenn wir Kinder beobachten, sehen wir, mit welcher Neugier sie die Welt entdecken. Und dann kommt die Institution Schule und macht dies nicht selten zunichte. Im Erwachsenenalter hat man es dann oft mit Menschen zu tun, die denken, sie bräuchten nichts mehr lernen oder die psychologisch so traumatisiert sind, dass sie das Lernen aufgegeben.“

Welche Vorstellungen und Mythen über das Lernen halten sich denn hartnäckig in der Bevölkerung?

„Dass Lernen keinen Spaß machen darf. Dass die Lust am Lernen mit dem Alter rapide abnimmt – was längst widerlegt ist. Bestimmte Fähigkeiten nehmen im Alter sogar noch zu. Wir sprechen da von fluider und kristalliner Intelligenz“.

Der Unterschied der Intelligenzformen besteht darin, dass fluide Intelligenz Denkprozesse umfasst, die unabhängig von Erfahrung sind und auf angeborene Fähigkeiten zurückgreift. Kristalline Intelligenz dahingegen bezieht sich auf Wissen und Fähigkeiten, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben und durch Bildung und Erfahrung stetig verbessern können. Während die fluide Intelligenz mit zunehmendem Alter sinkt, bleibt die kristalline Intelligenz meist konstant.

Die Digitalisierung ermöglicht völlig neue virtuelle Lernformate. Man kann sich ganz individuell und ortsungebunden Kompetenzen aneignen. Wird das die Unternehmensstrukturen verändern und die Bereitschaft zum flexiblen Lernen zu einem Einstellungskriterium erheben?

„Das geschieht bereits. Das Mehr an Information, das allen durch Vernetzung zugängig ist, verändert auch das Verhältnis von Mitarbeitern und Führungskräften. Da sind Formen von mehr Selbstbestimmung gefragt. Modern geführte Organisationen müssen auf die Autonomie und die Selbstverantwortung der Mitarbeiter setzen und die Lernbereitschaft in den Arbeitsprozess integrieren. Arbeiten und Lernen verbindet sich und es wird zur Zukunftsaufgabe, eine lernfreundliche Kultur im Unternehmen zu schaffen.“

Wie lernen Sie selbst?

„Ich habe sehr früh erkannt, dass ich das, was ich lerne, am besten für mich selbst umsetze, wenn ich es anderen erkläre. Damit habe ich schon als Studierender angefangen.“

„Ich arbeite oft mit jungen Menschen. Einen Junior Relation Manager begleiten wir bei Aufgaben, denen er vielleicht im Moment noch nicht 100%ig gewachsen ist und die Bestätigung, dass er auf einmal die Sache kann, setzt neue Potenziale frei.“

Nicole Groß, Geschäftsführerin ZIIB Zahlungssysteme GmbH

Wie profitieren Unternehmer und Gründer vom lebenslangen Lernen wollten wir von Nicole Groß, Geschäftsführerin einer Berliner Dienstleistungsagentur für bargeldlosen Zahlungsverkehr wissen.

Nicole Groß: „In nur sechs Jahren haben wir mit „Pay with Charlie“ das QR-Code-basierte bargeldlose Bezahlen – wie es in Asien bereits üblich ist – hierzulande entwickelt und 2021 eine erfolgreiche Funding-Runde absolviert. Wir wollen nicht der Tanker, sondern das Speedboot der Branche sein.“

Sie waren im früheren Leben u. a. bei Master Card, der Karstadt Quelle Bank und der Sparkassenstiftung bevor Sie sich selbstständig machten. Gab es in Ihrem Leben schon einmal einen Punkt, an dem Sie nicht mehr weiterwussten?

„Als Alleingründerin musste ich anfangs um Kredite kämpfen und auch mal auf eigenes Gehalt verzichten, um meine Mitarbeiter pünktlich bezahlen zu können. Geschicktes Verhandeln und mein großes Netzwerk haben es mir ermöglicht, diese Idee erfolgreich zu machen“.

Welche Ihrer Entscheidungen waren rückblickend wegweisend?

„Dass ich zukunftsorientiert analysiert habe, welche Bezahllösungen sich weltweit durchsetzen werden. Und auf meine Handelspartner zuzugehen, auch ein Ohr zu haben für den Kiosk um die Ecke und zuzuhören, wo ihn der Schuh drückt.“

 Haben Sie sich nebenbei aktiv fortgebildet?

„Das Unternehmertum wurde mir nicht in die Wiege gelegt. Betriebswirtschaftlich ganzheitlich zu denken, habe ich durch Karriere-Steps in den Firmen gelernt, in denen ich beschäftigt war.“

„Selbstzufriedenheit ist mir fremd, denn das Gute ist ja bekanntlich der Feind des Besseren“

Dr. Tamas Georgadze, CEO Raisin Bank AG

Auch Tamas Georgadze, Gründer der Firma Raisin, die mit ihrer Finanzplattform Weltsparen als Spezialist für Tages- und Festgeld auf außerdeutschen Märkten mittlerweile 25 Milliarden Euro direkt oder über Partner verwalten, sieht den Erfolg darin, auf zeitgemäße Trends wie Produkttransparenz und einfache digitale Abschlussmöglichkeiten gesetzt zu haben.

Was war der ausschlaggebende Punkt für Sie 2012 Weltsparen zu gründen?

Tamas Georgadze: „Wenn man wie ich aus Georgien kommt und mit dem eisernen Vorhang aufgewachsen ist, dann sind der europäische Gedanke, offene Grenzen, Schengen und Kapitalmarktfreiheit die Schlüsselworte dieser Geschäftsidee.“

Haben Sie in den letzten Jahren noch dazu gelernt?

„Auf jeden Fall. Vor allem, dass es nicht den Kunden an sich gibt. Da haben wir viel in Sachen „contextual banking“ gelernt, vor allem in der Zusammenarbeit mit Partnern, die für spezielle Segmente stehen, wie beispielsweise Beratungsleistungen.“

Haben Sie auch aus Fehlern gelernt?

„Wir haben uns als eines der ersten Fintech-Startups mit jugendlichem Elan für ein paneuropäisches Produkt ins Ausland gewagt und mussten dann erfahren, dass das Timing nicht optimal war und der Onbording-Prozess in jedem Markt anders funktioniert. Das Learning daraus? Anstelle eines großen Roll-outs lieber Schritt für Schritt in jeden Markt gehen.“

Die Frage, ob im Leben ein Cut und damit noch einmal etwas ganz anderes vorstellbar wäre, ist für Tamas Georgadze nicht abwegig. Auch Nicole Groß steht dem positiv gegenüber, „wenn es denn etwas Großes wäre“. Und Erich Schäfer erklärt: „Erst jetzt entwickle ich Fähigkeiten und Potenziale, zu denen ich früher keine Zeit hatte, wie zum Beispiel das Malen, für das schon mein Großvater ein kreatives Händchen hatte.“

Text: Gerd Giesler
Fotos: iStock, Alessandro Biascioli; iStock, Lukas Schramm, privat // Datum: 28.04.2023