Wer übernimmt die Firma? – Firmennachfolge regeln

Einen Nachfolger für das Familienunternehmen finden – ist das eine Mission impossible? Wann und unter welchen Umständen übernehmen Familienmitglieder? Einblicke in große Familienunternehmen und Studien sowie ein Gespräch mit Professor Arist von Schlippe über Kernherausforderungen, Mut, Vertrauen und krönenden Erfolg.

Die Unternehmensnachfolge ist Thema in 30.000 Familienbetrieben

Was haben Marc Fielmann, Ricarda Kusch, Fabian Kienbaum und Raoul Roßmann gemeinsam? Sie alle sind Töchter oder Söhne bekannter deutscher Familienunternehmen: Fielmann Brillen, Kusch + Co. Möbel, Kienbaum Personalberatungen, Rossmann Drogeriemärkte. Und sie stehen als positives Beispiel für den Generationswechsel. Laut einer Studie der Stiftung Familienunternehmen glauben zwei von drei befragten Unternehmerkindern, einmal den eigenen Familienbetrieb fortzuführen. Nicht immer ein leichtes Unterfangen. Nach wie vor laufen viele Nachfolgeregelungen schief, verbunden mit Krisen oder gar Insolvenzen. Formal geht es nur um einen Führungswechsel, doch verbirgt sich hinter der Kronprinzen-Regelung aus psychologischer Sicht oft ein komplexer Prozess, der Familie und Gesellschafter manchmal jahrzehntelang beschäftigt und in Atem hält.

Über die Hälfte regelt die Firmennachfolge innerhalb der Familie

Familienunternehmen gelten hierzulande nach wie vor als Jobmotor und Wachstumstreiber. Mit Wurzeln, die teils in die Frühindustrialisierung zurückreichen, bilden sie quasi das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Kein Wunder also, dass jährlich rund 30.000 KMU mit etwa 500.000 Beschäftigten zur Übergabe anstehen, weil ihre Eigentümer aus persönlichen Gründen aus der Geschäftsleitung ausscheiden. 18 Prozent der Familienunternehmen übergeben die Firma an ihre Mitarbeiter, 29 Prozent verkaufen ihr Unternehmen an Externe. Aber gut die Hälfte aller deutschen Familienunternehmen, so das Institut für Mittelstandsforschung, regelt die Firmennachfolge familienintern. Anders als in den USA, wo allein schon aufgrund der hohen Erbschaftssteuer die Devise „Jeder ist seines Glückes Schmied und fängt als Pionier bei null an“ gilt, ist die Firmennachfolge in Familienunternehmen in Europa und explizit in Deutschland auch Familienangelegenheit.

Arist von Schlippe

Die Firmennachfolge kann familiäre Konflikte auslösen

Der Psychologe, Publizist und Familientherapeut Arist von Schlippe, der seit 2005 den Lehrstuhl Führung und Dynamik von Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke hält, spricht von einer kontinuierlichen Kernherausforderung für Unternehmerfamilien. Er wundert sich, dass so viele Übernahmen ohne explizite Planung vonstattengehen – wider besseres Wissen und trotz der Flut an Beratungsliteratur. Aber Familiendynamik hat nicht nur immense Kraft, sie ist oft kaum zu durchschauen und schwer kontrollierbar. „Lieben und arbeiten“, die Freud’schen Eckpfeiler des menschlichen Glücks, geraten nur allzu leicht aus den Fugen, wenn im familiären Übergabeprozess zu den Themen Anerkennung, Wertschätzung und Lebensleistung ein emotionales Nitroglyzerin-Fläschchen nach dem anderen hochgeht. Von Schlippe spricht hier von einer psychologisch kritischen Masse: „Der eine sagt etwas, der andere fühlt sich total verletzt, schießt zurück und schon ist die Kettenreaktion im Gange.“ Oftmals scheuen selbst Unternehmerpersönlichkeiten mit reichem Erfahrungsschatz im Krisenmanagement und großem Weitblick derartige Operationen am offenen Familienherz. Sie leisten sich lieber strategische Blöße, indem sie die Nachfolgeregelung verdrängen und verschieben.

Die Paradoxien der Firmennachfolge

Dabei hat der Psychologe festgestellt, dass der Prozess sich schon sehr früh abzeichnet. Oft beginnt der Weg der Nachfolgeregelung bereits Jahrzehnte vor der Übergabe. Insbesondere bei der Kronprinzen- oder -prinzessinnen-Regel ist der manchmal reich an Stolpersteinen, Widersprüchlichkeiten und Paradoxien. Laut von Schlippe fällt der Grundstein oftmals bereits in die vorpubertäre Phase, in der Eltern den Nachwuchs eifrig dahingehend beobachten, ob er sich denn potenziell für die Nachfolge eignet. Dabei wünschen sie sich zugleich, dass die Kinder sich möglichst frei entwickeln und entscheiden. Tatsächlich aber wird dem Junior im Reifungsprozess zwischen 12 und 30 Jahren die Identitätsfindung nicht ganz leicht gemacht: „Wie kann ich wissen was ich will, wenn ich doch wollen soll, was ich muss?“

Häufig kommt es zu Konflikten zwischen alt und neu

Im Alter zwischen 20 und 40 Jahren kommt es dann – vor allem bei mehreren Nachkommen – zu der Weichenstellung: Wie ist die Firmennachfolge zu regeln? Wer soll denn überhaupt in die Fußstapfen treten? Wobei das Familieninteresse, „alle gleich bedenken zu wollen“, leicht mit dem Firmeninteresse „der Begabteste übernimmt allein die Führung“ kollidieren kann. Alte, ungelöste Konflikte kommen plötzlich an die Oberfläche, weil in der Familie kein vermeintlicher Konsens mehr aufrechterhalten werden kann. Ist dies entschieden, gibt es in der Phase, in der dann zwei Generationen im Unternehmen sind, erneut mögliches Konfliktpotenzial, diesmal direkt zwischen Senior und Junior unter dem Motto: „Du kannst dich im Unternehmen gerne verwirklichen, aber bitte so, wie ich es möchte.“ Von Schlippe nennt dies den „Ambivalenz-Rap“ in realer Endlosschleife: „Du lässt mich nicht ran – du bist nicht kompetent – du lässt mich nicht ran …“. Nicht selten wird, vor allem in mittleren Betrieben, der Kompromiss gewählt, dass der Senior den Abschied aus dem operativen Geschäft mit einem Aufsichtsposten im Haus verbindet, getreu dem Motto: „Ich gehe, ohne zu gehen.“

Welche Deeskalierungstools führen aus der Nachfolgefalle?

Nach Professor von Schlippe entspricht Uneinigkeit auf der Organisationsebene psychologisch gesehen der Ambivalenz. In Unternehmerfamilien, in denen die Kernentscheidung geklärt ist, zeichnet sich zumeist auch eine einvernehmliche Unternehmensnachfolge ab. Wenn Sohn oder Tochter qualifiziert und wirklich folgebereit sind, und der Altunternehmer für sich Perspektiven nach dem Ausscheiden entwickelt hat, wird auch in vielen Fällen in die Tat umgesetzt, was sich sonst in epische Länge zieht. Doch wenn die Nachfolgegeneration für wenig kompetent gehalten wird und das Ausstiegs-Szenario des Seniors eher Langeweile verheißen mag – was dann? Dann kommt es durch den Ambivalenz-Rap zu einer paradoxen Patt-Situation: Beide Seiten profitieren von den Ängsten des anderen und bewegen sich keinen Schritt aufeinander zu. Denn hinter der Behauptung „Ich würde ja schon, wenn du mich nur lassen würdest“ verbirgt sich gern Versagensangst. Und hinter dem Vorwurf „Ich würde dich ja gerne lassen, aber du bist noch nicht so weit“ steckt häufig ein tückischer Sumpf. Anders gesagt: Das Mindset des Patriarchen sieht Machtverlust, Leere und eigene Endlichkeit nicht vor, so von Schlippe.

Die DNA, um die Firmennachfolge erfolgreich zu regeln

Wir neigen dazu, Vorgänge, die uns sehr beschäftigen, reduzieren zu wollen und personenbezogen aufzurechnen. Doch wir müssen lernen zu verstehen, dass wir es mit hochkomplexen Zusammenhängen zu tun haben. Die Beteiligten können nicht nur Selbstoptimierung betreiben, sie müssen sich auf dem schwierigen Terrain umsichtig bewegen. „Wenn man es als Hauptaufgabe der Unternehmerfamilie ansieht, die Entscheidungsfähigkeit für das Unternehmen sicherzustellen, dann braucht es auf der persönlichen Ebene Entschiedenheit, bevor man in die konkrete Gestaltung der Nachfolge eintritt“, glaubt der Psychologe. Er beruft sich dabei auf folgende vier Bereiche: Bereitschaft, Mut, Kompetenz und Vertrauen. „Kein Generationswechsel gleicht dem anderen, doch sind für eine gelingende Firmennachfolge diese vier reflektierenden Aspekte so etwas wie die Ausgangsbedingung. Von dort aus können die Betroffenen gemeinsam den Schritt in eine neue Ära der Firmengeschichte wagen: die konkrete Firmennachfolge erfolgreich regeln.“

Firmennachfolge regeln

Text: Gerd Giesler
Fotos: getty // Datum: 14.11..2019