Appetit auf Meer

Ein irischer Städtetrip der besonderen Art. Die Reise nach Galway verspricht eine Mischung aus historischem Erbe, atemberaubender Natur und eine Fülle von kulturellen Veranstaltungen sowie kulinarischen Erlebnissen.

Menschenleere Strände, schwindelerregende Klippen und das Gefühl, wieder mal so richtig geerdet zu sein. Die Stadt Galway ist ein absoluter Schatz für Naturliebhaber und nicht nur die spektakuläre Naturkulisse zieht viele Besucher an, denn auch Kulturbegeisterte kommen nicht zur kurz. Jährlich findet das International Arts Festival im Sommer statt und gibt Gelegenheit, Galway im Lichte künstlerischer Darstellungen kennenzulernen. Ein pittoreskes, lebenslustiges Städtchen direkt am Atlantik, das sich auch als wahres Schmuckkästchen für kulinarische Entdeckungen entpuppt. Für jeden ist etwas dabei. Ein Highlight, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Unser Tipp? Hinfahren und Staunen, denn Galway ist eine absolute Traumstadt.

Das Tigh Neachtains liegt in der Altstadt von Galway und ist das älteste Pub der Stadt. Als 1894 der Familien-Clan Morton das Eckhaus übernahm, zog gleich der Liberalismus mit ein, für den die Stadt bis heute steht. Frauen durften nämlich auch ins Pub. Allerdings gab es für sie die „snugs“, holzgetäfelte Abteile, in denen sie sich, den Blicken der Männer entzogen, dem Biergenuss hingeben durften. Den Frauen war das recht, so mussten sie sich nicht dem strengen Geruch der Bauern und Schafhirten aussetzen. Im letzten Jahrhundert schneite hier gern der amerikanische Poet und Freidenker Allen Ginsberg auf ein Pint vorbei, wenn er mit seinem Lebensgefährten in der Stadt war. Heute ist die beschaulich-gemütliche „City of Tribes“, die Stadt der 14 Familien-Clans, die einst Galway dort gründeten, wo der Corrib in den Atlantik mündet, ein Schmelztiegel der Nationalitäten und Inbegriff des „Leben und Leben lassen“.  Die Stadt ist jung, wegen seiner Studenten und bunt wegen der Feste: vom Austern-Festival über das Filmfest bis hin zum internationalen Kunstforum im Juli. Sich nach dem Veranstaltungskalender der gefeierten europäischen Kulturstadt zu richten lohnt sich. Zum gesellschaftlichen Leben gehört auf der grünen Insel und in Galway das Bier, am populärsten als obergäriges, schwarzes Stout mit der cremigen Schaumkrone, dem Bier, das die Dubliner Familie Guinness weltbekannt machte. Bier passt eigentlich immer. Zum „full irish breakfast“ mit Rührei, Speck, Bohnen und Blutwurst, zu frischen Austern, zu den in Irland so beliebten Hochzeitsfeiern oder abends im Pub.

Es passt zum entschleunigten Lebensstil der Iren. Man nimmt sich noch Zeit für einen Plausch, mit dem Nachbarn wie dem Fremden, oder um die irischen Volksweisen zu pflegen. „Seelenwasser“ nennt die ortsansässige Soulwater Brauerei sogar ihr „Kojack“, eine leichtere Variante des Guinness, das aus Hafer gebraut wird.

Samstagnacht erwacht in der Crane Bar die irische Seele. Im ersten Stock ist kaum ein Platz zu finden, wenn sich die Einheimischen zum Musizieren treffen und uralte Lieder erklingen, die von den Alten an die Jungen weitergegeben werden. Wenn dann spontan ein „Galway Girl“ zur Fidel zu tanzen beginnt, lässt sich erahnen, woher der Sänger Ed Sheeran seine Inspiration zum gleichnamigen Song hatte.

Der vielleicht schönste Einstieg, um sich mit Galway vertraut zu machen, ist ein kulinarischer Streifzug durch den Bauch der Stadt. Leider ist die irische Küche noch immer geprägt von einem Stigma. Seit dem 16. Jahrhundert, heimgesucht von Hungersnöten, trieb es viele Iren auf die Schiffe nach Amerika, um dort ihr Glück zu finden. Doch die grüne Insel bietet weit mehr als Kartoffeln und die Klassiker „Irish Stew“ und „Shepherd’s Pie“. Seit ein paar Jahren bietet die in der Gastro-Szene bestens vernetzte Sheena Dignam ihre „Galway Food Tour“ an. Treffpunkt ist jeden Samstag um 10.30 Uhr vor Griffins Bakery. Die schmale Bäckerei, seit 1876 in Familienhand, ist eigentlich viel zu klein für das berühmte, zwei Meter lange Weißbrot, das sie verkauft. Für Bäcker Jimmy Griffin ist es Therapie-Ersatz. „Seit seinem Tauchunfall vor 6 Jahren, vor der Küste Galways, als ihm ein aggressiver Congeraal in die Wange biss, backt er dieses Aal-Brot“, erzählt Guide Orlagh den drei Damen aus Wisconsin und Judy, der Heimweh geplagten Studentin aus Boston, die ihr Professor zur besseren Eingewöhnung auf die Food-Tour schickte. Gemütlich über den Samstagsmarkt schlendern, Austern probieren, ein „Ura-Maki“ von Yoshimi, die vor 19 Jahren aus Japan kam, und mit ihrem Wa Café Sushi in die Stadt brachte, oder gar ein Löffelchen indisches Curry am Bean Tree-Stand. Mittags brummt auch das „Kai“, dessen Besitzer David und Jess Verfechter der „Slow Food“-Bewegung sind. Der „Claire Crab Salad“ oder das „Jarka Dahl Squash“ sind eine kleine Sünde wert. Schließlich blicken die Gäste durch das gläserne Dach der Kneipe direkt auf die gotische Kathedrale St. Ignatius.

Zurückversetzt ins viktorianische Zeitalter fühlt man sich im „Cupán Tae“ vis-à-vis vom Spanischen Tor bei einem Tässchen „Dreamy Creamy Galway“ und Cupcake mit Limette, Zucchini und Macha-Glasur – stilvoll serviert von Mae in Rock und Spitzenhaube. Cupán ist eine Oase, vor allem wenn das Wetter sich von seiner irisch-launischen Seite zeigt. Später lockt ein Spaziergang entlang der Uferpromenade bis nach Salthill, wo rüstige Rentner vom Schwimmverein beim Kraulen im Atlantik beobachtet werden können.

Die raue Salzluft macht Appetit auf Galways zwei Dinner Highlights, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das Ard Bia, direkt am Spanischen Tor ist eine urige Kneipe, dem Reich von Amelia. Handys sind hier unerwünscht. „Die Leute sollen sich unterhalten“ – und genießen. Sodabrot mit Algenbutter, Seeteufel mit Kresseblumen, dazu ausgewählte Weine. Im Michelin-Stern-Restaurant Loam umgibt den Feinschmecker cooles Industrieambiente vor der gläsernen Showküche. Chefkoch Enda McEvoy bezieht alle Zutaten von irischen Biobauernhöfen, um seine Interpretation vom Westen Irlands auf den Teller zu zaubern, in Form von 3-5- oder 7-Gänge-Menüs, wahlweise mit korrespondierenden Weinen. Zu „Tintenfisch, Shiitake und Ei“ bringt Sommelier Niall Flynn, an dem ein Poet verloren gegangen ist, einen Riesling vom Weingut Max Richter.

Galway ist Ausgangspunkt zu Irlands grüner Seele: zum Connemara National Park, zum Killarney Fjord, zum „Ring of Kerry“, den Aran Inseln und natürlich zu den sagenumwobenen „Cliffs of Mohair“. Am besten ist, die Gegend mit dem Mietwagen zu erkunden. Erst mal an das Linksfahren gewöhnt, tritt zumeist die totale Entspannung ein angesichts der gewaltigen Natur. Oft sieht man unterwegs auch keine Menschenseele und ist allein mit Wildpferden zwischen Ginster und Brombeerhecken, Fasanen und natürlich Schafen, Schafen, Schafen …

Die „Cliffs of Mohair“ sollten kurz vor Sonnenuntergang angesteuert werden, dann sind die Tourbusse weg und hat die Klippen fast für sich allein. Über acht Kilometer lang ist der Weg entlang der Steilküste, die bis zu 214 Meter den tiefblauen Atlantik überragt. Die Szenerie ist absolut magisch, und mit etwas Glück lassen sich sogar Wale, die durch den aufgewühlten Atlantik pflügen, entdecken.

Text: Gerd Giesler
Fotos: Gerd Giesler // Datum: 26.04.2023