5 Stufen zum nachhaltigen Lebensstil

Nachhaltiges Handeln erfordert, dass eigene Werte und Überzeugungen reflektiert und eine Verbindung zur Umwelt hergestellt werden. In unserem Interview sprechen wir mit Prof. Dr. Marcel Hunecke, wie die Stärkung der inneren psychischen Ressourcen ein nachhaltiges Verhalten fördern kann.

Marcel Hunecke ist Professor für Allgemeine Psychologie, sowie Organisations- und Umweltpsychologie an der FH Dortmund, Privatdozent an der Fakultät für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum und Buchautor: „Psychologie der Nachhaltigkeit“. Seine Forschungsschwerpunkte sind Strategien zur Förderung nachhaltigen Verhaltens durch Stärkung der inneren psychischen Ressourcen des Menschen.

„Der Auftrag, der uns heute gesetzt ist, lautet: Uns selbst, unsere Umwelt und die Strukturen dieser Welt zu heilen und zu heiligen… Man mag dies für eine Aufgabe halten, die unsere Kräfte übersteigt. Aber wenn wir im Bewusstsein unserer Unvollkommenheit und Schwäche trotzdem alle unsere Kräfte für ihre Erfüllung einsetzen, dann kommt ein Segen hinzu und aus dem Kleinen wird ein Großes.“

Albert Schweizer (1875-1965)

Herr Hunecke, woran liegt es, dass wir zwar genau wissen, was nachhaltig ist und was nicht, aber sehr häufig nicht nachhaltig handeln oder manchmal ganz bewusst die Augen davor verschließen?

„Das Wissen um die Notwendigkeit der Veränderung ist bei den Menschen angekommen. Es bleibt aber psychologisch gesehen an der Oberfläche. Es trägt selten zur dauerhaften Veränderung der individuellen Lebensstile im Sinne eines gesamtheitlich ressourcenschonenden guten Lebens bei. Aus psychologischer Sicht ist es schwierig den Menschen etwas wegzunehmen, was sie schon haben oder ihnen etwas vorzuschreiben. Anders gesagt: Wer nachhaltig handelt, muss mit einem positiven Gefühl belohnt werden. Sonst wird er seinen Lebensstil kaum dauerhaft ändern. Letztlich müssen die Leute freiwillig zu mehr Nachhaltigkeit kommen.“

Wie definieren Sie umweltpsychologisch einen nachhaltigen Lebensstil?

„Nachhaltiger Lebensstil setzt sich aus einer Vielzahl an Verhaltenszielen zusammen. Das ist der Knackpunkt. Denn der Mensch hat einfach viele Ziele, die er erreichen möchte und da ist die Nachhaltigkeit nur eines von vielen und in der Zielhierarchie noch nicht einmal sehr hoch aufgehängt. Um aus diesem Zielkonflikt herauszukommen, müssen wir ans Eingemachte, an unsere Persönlichkeit.“

Und dafür sind die psychischen Ressourcen in uns wichtig?

„Konsum-Erlebnis-Gesellschaft wird immer noch als Motor unserer Kultur angesehen. Die teure Uhr, das Statussymbol Auto, das schicke Designer-Outfit. Wer hart arbeitet, hat scheinbar ein Anrecht auf Belohnung. Der Weg dorthin? Ein Touchpoint auf dem Bildschirm. Alles, was ich will, muss sofort da sein, 24 Stunden lang.

Diese Kultur hat eine große Anziehungskraft, das kann man nicht leugnen. Und der moralische Zeigefinger, den gibt es durch den Club of Rome (Anmerkung der Redaktion: Die Grenzen des Wachstums) bereits seit den 70er Jahren, hat zu keinen grundlegenden Erfolgen geführt. Erziehung allein ist es also nicht. Und auf rein technologischer Ebene haben wir Anfangserfolge erzielt, aber das wird nicht reichen um an das gesteckte Klimaziel ranzukommen. Wir brauchen eine sozial-ökonomische Transformation. Der Schlüssel liegt in den Quellen für subjektives Wohlbefinden. Was kann ich in mir selbst fördern? Mein Ansatz dafür sind die sechs psychischen Ressourcen Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeit, Genussfähigkeit, Achtsamkeit, Sinnkonstruktion und Solidarität.“

Was genau hat das mit Nachhaltigkeit zu tun?

„Wenn ich mit mir im Reinen bin, kann ich auf einiges verzichten, was mit Status und Positionalität zu tun hat, das meint Selbstakzeptanz. Bei der Selbstwirksamkeit geht es vor allem darum, inwieweit ich Veränderung in der Welt in mir selbst umsetzen kann. Das Schlimme an der Klimadebatte ist ja die tückische Resignation: Ich alleine kann sowieso nichts ausrichten.

Genussfähigkeit schließlich endet automatisch in der Nachhaltigkeit, das zeigt sich bei der Qualität von Lebensmitteln oder der Slow-Food-Bewegung, wo es um Klasse und nicht um Masse geht. Achtsamkeit ist in der Metafunktion eine der wichtigsten Ressourcen, um einen geänderten Lebensstil zuzulassen. Hier geht es um die Automatisierung im Verhalten, um in den Moment zu kommen, den Stresslevel zu reduzieren, raus aus dem Hamsterrad!

Sinnkonstruktion ermöglicht es, das eigene Verhalten in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Und Solidarität bedarf es, um sich darauf einzulassen. Sie schafft einen Referenzrahmen der sozialen Verantwortung, in dem man sich in Relation zu anderen Menschen begreift, bis hin zu spirituellen oder religiösen Vorstellungen. Es lohnt sich, dass ich mich für das Wohlergehen anderer einsetze.“

Wie kann man Menschen helfen, psychische Ressourcen zu stärken?

„Psychische Ressourcen lassen sich in gesellschaftlichen Settings weiterentwickeln. Coaching ist eine gängige Methode, Fähigkeiten und Kompetenzen in diese Richtung zu sensibilisieren, zum Beispiel durch Achtsamkeitstrainings. Eine große Bedeutung kommt auch dem Bereich Bildung durch Schulen, Institutionen, Kommunen und NGOs zu.

Wer heute 30 Jahre alt ist, wurde geboren, als in Deutschland ein CO₂-Ausstoß pro Kopf von 12,5 Tonnen gemessen wurde. Heute liegt dieser unter 7,9 Tonnen. Noch ein weiter Weg zur Klimaneutralität, aber das Wissen, wie sie funktionieren kann, ist vorhanden.

Gut, die erste Hürde, ausreichend informiert zu sein, mag im Problembewusstsein angekommen sein. Aber die Vorstellung, ich verhalte mich mal umweltschonend, ist reine Vision. Und die in den Alltag zu überführen ist schwierig und überfordert die meisten.

Wenn ich also das Wissen habe und auch von der Absicht geprägt bin zu handeln, dann muss ich mein Verhalten planen – eine große Barriere zwischen Wollen und Tun.“

Und wie überwindet man diese Barriere konkret?

„Sie müssen Verhaltensziele für sich formulieren: ab morgen benutze ich statt des Autos öffentliche Verkehrsmittel in die Arbeit. Das ist ein konkretes Ziel und bedarf gewisser Vorbereitung. Da kommen organisatorische Probleme hinzu, Infrastrukturen, Regelungen. Was, wenn es auf meiner Route keinen Linienverkehr gibt? Oft ist das mit höherem Aufwand verbunden, den ich auf mich nehmen muss.

Und hier kommen die psychischen Ressourcen ins Spiel, die bewirken, dass ich die Reduktion meines persönlichen CO₂ Fußabdruckes nicht als Opfer, sondern als sinnvolles Tun begreife?

„Sie können spezifisches Verhalten ganz gut verändern und dauerhaft in Ihr Leben überführen, in dem Sie immer wieder intervenieren und nach dem 5-Stufen-Schema Information – Motivation – Planung – Handlung – Routinisierung vorgehen.

Also weniger Fleisch essen, bei Flugreisen CO₂-ärmere Direktflüge buchen, Wertstoffe recyclen, Niedrig-Energie-Geräte verwenden, oder auf Sharing-Konzepte setzen. Damit kann man zumindest in einem Bereich relativ erfolgreich sein.“

Wie betrachten Sie in diesem Kontext nachhaltige Geldanlage?

„Das ureigene Ziel aller Geldanlagen ist ja die Rendite. Früher waren das Zinsen und jetzt zu Zeiten der Inflation sind es Aktien, Fonds und Sachwerte. Ökologisch sinnvolle Geldanlagen lassen sich in eine Marketing-Strategie überführen. Natürlich will man Rendite erzielen. Aber vielleicht nicht mehr um jeden Preis. Die Frage: Wofür soll mein Geld arbeiten – gewinnt zunehmend an Bedeutung. Information schafft Transparenz und dadurch Bewertungsgrundlagen. Am Ende steht dann das klare Verhaltensziel Wechsel von klassischen Anlagen zu ökologischen.

Seit geraumer Zeit gibt es einen regelrechten Boom, was Anlageformen nach ESG-Kriterien, also bezüglich Ökologie, Soziales und Unternehmensverantwortung betrifft. Sehen Sie darin eine große Bedeutung für die Klimaneutralität?

„Es geht nicht mehr allein um Shareholder-Value. Die Menschen sehen bei Geld verstärkt eine Sinnperspektive, also das Bedürfnis, gesellschaftlich wünschenswerte Entwicklungen zu unterstützen. Geld als Mittel zum Zweck für inhaltliche Ziele anstelle reiner Vermehrung. Das geht in Richtung Systemwechsel und ökologisch-ökonomischer Transformation. Leider haben wir nicht nur ein quantitatives Problem in Bezug auf die absolute Geldmenge, sondern vor allem sitzt uns die Zeit im Nacken. Der ökonomische Umbau läuft. Aber wir haben keine 100 Jahre Zeit. Daher müssen wir auf die motivationale Ebene setzen, um aus der reinen Konsum-Erlebnis-Kultur auszusteigen. Wenn wir das Klimaziel 2045 erreichen wollen, brauchen wir die Transformation der Gesellschaft. Und das geht nur, wenn die Menschen begreifen, dass man ein gutes Leben führen kann, wenn man sich nachhaltig verhält.

Text: Gerd Giesler
Fotos: © iStock // Datum: 22.05.2023